Wie das Inter­net auch die Mei­nungs­frei­heit ein­schrän­ken kann – ein Blick nach China

Seit Jahr­zehn­ten berich­ten west­li­che Medien über Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in China. Die Unter­drü­ckung von Min­der­hei­ten in Tibet und Xin­jiang, die Ver­fol­gung der Falun Gong, aber auch die Ein­schrän­kung der Presse– und Mei­nungs­frei­heit ste­hen zurecht immer wie­der im Fokus. 2016 brachte Prä­si­dent Xi Jin­ping dies bei einem Besuch der staat­li­chen „Volks­zei­tung“ auf den Punkt als er sagte, alle Medien in China soll­ten „mit Fami­li­en­na­men „Par­tei“ hei­ßen“ und sich aus­nahms­los „am Wil­len, an den Ansich­ten, an der Auto­ri­tät und an der Ein­heit der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei“ orientieren.

Zwei Jahre spä­ter erwirkte eben jener Xi Jin­ping, dass das Maxi­mum von zwei Amts­pe­rio­den für den Prä­si­den­ten aus der Ver­fas­sung gestri­chen wurde. Damit hatte Xi seine unein­ge­schränkte Herr­schaft auf Lebens­zeit gesichert.

Es ist wahr, dass es kaum hör­ba­ren Pro­test gegen die­sen Schritt des Prä­si­den­ten gab. Doch dies bedeu­tet nicht, dass die Ver­fas­sungs­än­de­rung auf unge­teilte Zustim­mung stieß. Wenige Tage bevor der Schritt öffent­lich wurde, hatte der Men­schen­rechts­an­walt Yu Wens­heng einen Alter­na­tiv­vor­schlag ver­öf­fent­licht. Er wurde umge­hend inhaf­tiert. Ein weni­ger bekann­tes Bei­spiel ist die Pekin­ger Bür­ge­rin Zhao Xiaoli, die nur einen Tag nach Bekannt­wer­den der Ver­fas­sungs­än­de­rung schrieb:

Meta­phern, chi­ne­sisch “Yǐnyù”, sind ein belieb­tes Mit­tel um die chi­ne­si­sche Zen­sur im Inter­net zu umgehen.

„Seit zwan­zig Jah­ren habe ich gelernt mich zu schüt­zen, wenn ich meine Mei­nung aus­drü­cke. Aber unser Ver­ste­cken hin­ter Meta­phern, hin­ter zwei­deu­ti­ger Spra­che, hin­ter Schwei­gen, hin­ter ver­stoh­le­nen Bli­cken – all das hat uns weder Stärke noch neue Räume geschaf­fen. Aber im Gegen­zug für unser Schwei­gen haben die Herr­schen­den nur die Macht des Vol­kes mit Füßen getre­ten. Für unser Schwei­gen haben wir nur die Gier nach Macht von Dik­ta­to­ren und Auto­kra­ten bekommen.

Ich habe Angst. Wenn ich mich äußere, habe ich die Angst den Preis dafür zu zah­len. Wenn ich nicht spre­che, dann habe ich Angst den Rest mei­nes Lebens in Scham und Schmerz zu ver­brin­gen. Weil es uner­träg­lich ist, nein, weil es das äußerste Extrem des Uner­träg­li­chen ist, werde ich nicht län­ger schwei­gen. Ich werde keine Satire dar­aus machen und kei­nen Sar­kas­mus nut­zen. Ich will mein Recht als Bür­ge­rin der Volks­re­pu­blik China wahr­neh­men. Ich sage öffent­lich, dass ich gegen den „Vor­schlag des Zen­tral­ko­mi­tees der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Chi­nas hin­sicht­lich der Ände­rung der Ver­fas­sung“ bin. Ich bin gegen die Strei­chung der Amts­zeit­be­gren­zung für Prä­si­dent und Vize­prä­si­dent der Volks­re­pu­blik China. Diese Ver­fas­sungs­än­de­rung wäre ein Mit­tel von Dik­ta­to­ren, um die Macht zu ergrei­fen. Es wäre ein Rück­schritt für mein Land, ein Ver­rat an den Idea­len der seit ein­hun­dert Jah­ren wäh­ren­den Revo­lu­tion. Der soziale Ver­trag und die bür­ger­li­chen Rechte wer­den mit Füßen getreten.

Das ist meine Mei­nung. Ich weiß, dass viele Men­schen sie tei­len, aber wir wur­den ver­ein­zelt, abge­lenkt, unei­nig… seit so lan­ger Zeit. Wir waren so lange klein und schwach und so lange gefan­gen in Metaphern.“

Zhao Xiaoli schreibt, sie habe nicht nur Angst, chi­ne­sisch “Jiāolǜ”, vor den Kon­se­quen­zen, wenn sie Kri­tik äußert, son­dern auch davor, sich zu schä­men die Kri­tik nicht zum Aus­druck gebracht zu haben.

Die­ser Ein­trag ist sehr mutig. Er deu­tet zudem an, dass es vor nicht allzu lan­ger Zeit Mög­lich­kei­ten der Mei­nungs­äu­ße­rung in China gab, wenn auch zumeist nur in Meta­phern, in zwei­deu­ti­gen Begrif­fen. Das Medium die­ser Debat­ten war das chi­ne­si­sche Äqui­va­lent zu Twit­ter: Weibo.

In öffent­li­chen, halb­öf­fent­li­chen und geschlos­se­nen Chats ent­wi­ckelte sich Weibo ab 2009 in kür­zes­ter Zeit zu einem Sprach­rohr für hun­derte Mil­lio­nen von chi­ne­si­schen Internetnutzer*innen. Wenn die chi­ne­si­sche Zen­sur einen Begriff auf den Index setzte, dann wurde er ein­fach durch einen ähn­lich lau­ten­den Begriff ersetzt. Selbst über die Zen­sur konn­ten die Chines*innen spot­ten: Im Jar­gon der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei wird bei Zen­sur von der Her­stel­lung von „Har­mo­nie“ gespro­chen. Das chi­ne­si­sche Wort für „Fluss­krebs“ klingt ähn­lich wie „Har­mo­nie“. Und so spra­chen bald viele Kritiker*innen von den „Fluss­kreb­sen“, wenn sie über Zen­sur klag­ten. Damals, vor nicht ein­mal zehn Jah­ren, schien sich zu bewahr­hei­ten, was der frü­here US-Präsident im März 2000, ange­spro­chen auf chi­ne­si­sche Bestre­bun­gen das Inter­net zu kon­trol­lie­ren, gesagt hatte: „Viel Glück. Dies ist, als wollte man Wackel­pud­ding an die Wand nageln.“

Das Wort “Fluss­krebs”, chi­ne­sisch “Héxiè”, sieht ganz anders aus als…
… das Wort “Har­mo­nie”, “Héxié”, wird aber fast iden­tisch ausgesprochen.

Im Som­mer 2016, als die Frei­hei­ten schon wie­der mas­siv ein­ge­schränkt waren, saß ich mit einem Beam­ten der Cyber­be­hörde Chi­nas in der Pekin­ger Nach­mit­tags­sonne. Rück­bli­ckend sagte er, dass nie­mand glaubte, die Kri­tik jemals wie­der ein­fan­gen zu kön­nen. Aber als Xi Jin­ping an die Macht kam, ent­wi­ckelte sich die Grund­hal­tung:  Wir müs­sen es ver­su­chen! Wenn diese „Ret­tungs­ak­tion“, wie er sie wört­lich nannte, nicht funk­tio­niert, dann war Xi der letzte Prä­si­dent der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei in China. Hin­ter­grund der Sor­gen der Herr­schen­den war nicht zuletzt die Rolle der sozia­len Medien bei den Auf­stän­den des Ara­bi­schen Früh­lings 2011. Und so beschlos­sen die Macht­ha­ber drei Schritte:

Stufe 1:

2013 ernannte Xi Jin­ping Lu Wei zum Vor­sit­zen­den der Zen­tra­len Füh­rungs­gruppe für das Cyber­space. Als ers­tes führte Lu die Klar­na­men­re­gis­trie­rung ein. Anbie­ter von sozia­len Medien und Dienst­leis­tun­gen muss­ten ihre Kund*innen mit ihrem ech­ten Namen und ihrer Han­dy­num­mer regis­trie­ren. Zunächst wur­den sie gezwun­gen die Infor­ma­tio­nen auf Anfrage mit den Behör­den zu tei­len. Spä­ter ent­sandte die Cyber­be­hörde gleich selbst ihre Mit­ar­bei­ter in die größ­ten chi­ne­si­schen Techfirmen.

Selbst­zen­sur, chi­ne­sisch “Zìwǒ shěn­chá”, ist, was sich viele Inter­net­platt­for­men in China selbst auf­er­le­gen — aus Angst, dass sie die meist vagen Vor­ga­ben der Regie­rung nicht einhalten.

Stufe 2:

Als nächs­tes ver­schärfte Lu ein bereits zuvor prak­ti­zier­tes Prin­zip: er machte die Anbie­ter der Inter­net­platt­for­men ver­ant­wort­lich für den Inhalt, der auf ihren Platt­for­men ver­öf­fent­licht wurde. Zugleich gab seine Behörde nur vage Anwei­sun­gen. Die Platt­for­men rea­gier­ten mit Selbst­zen­sur. Sie leg­ten die Anwei­sun­gen der Cyber­be­hörde so aus, dass sie mög­lichst nicht belangt wer­den konnten.

Stufe 3:

Und schließ­lich ließ Lu Wei eine Reihe an chi­ne­si­schen Pro­mi­nen­ten für das Ver­brei­ten von „Gerüch­ten“ ver­haf­ten. Der Sinn war schnell erfasst: Es soll­ten abschre­ckende Bei­spiele geschaf­fen wer­den. Dies war nicht nur brei­ten­wirk­sam, son­dern die Behör­den knüpf­ten auch an eine aus ihrer Sicht bewährte Pra­xis an: Zen­siert wird nicht unbe­dingt, was kri­tisch ist, son­dern das, was viel­fach gele­sen ist. Die glei­che Aus­sage kann in einem Fall unbe­ach­tet im Netz blei­ben und in einem ande­ren Fall zu einer Ver­haf­tung füh­ren, wenn sie von vie­len gele­sen oder gar noch geteilt wird.

In Lus ers­ten zwei Jah­ren im Amt wur­den 15.000 Internetnutzer*innen für Ver­ge­hen im Netz ver­haf­tet. Spä­ter aber kam auch für Lu das jähe Ende sei­ner Kar­riere: Wegen Kor­rup­tion wurde er zu einer lang­jäh­ri­gen Gefäng­nis­strafe ver­ur­teilt. Doch da hatte die Par­tei das Inter­net schon unter ihre Kon­trolle gebracht.

Auch vor Lu Wei war das Inter­net in China bereits mas­siv ein­ge­schränkt. Die „Great Fire­wall” unter­bin­det bei­spiels­weise den Zugriff auf eine Reihe aus­län­di­scher Inter­net­sei­ten. Über soge­nannte vir­tu­elle pri­vate Netz­werke (VPNs) gibt es zwar die Mög­lich­keit diese Sei­ten den­noch auf­zu­ru­fen. Doch wer­den diese VPNs erstaun­lich wenig genutzt, wie mir der Beamte der Cyber­be­hörde erzählte. Intern spre­che man von der „90/10 Regel“: 90% der Internetnutzer*innen haben einen VPN Kli­en­ten und wis­sen, wie man ihn nutzt. Aber nur 10% machen davon regel­mä­ßig Gebrauch. Der Grund ist ein­fach: Die meis­ten Chines*innen sehen kei­nen Anlass. Sie ver­trauen weder den chi­ne­si­schen noch den west­li­chen Medien, nicht zuletzt auch des­halb, weil letz­tere sich häu­fig auf nega­tive Ent­wick­lun­gen in China kon­zen­trie­ren, die die kleine Oppo­si­tion im Land betref­fen, nicht aber mit den All­tags­er­fah­run­gen der gro­ßen Mehr­heit der Men­schen korrespondiert.

Doch es waren nicht nur diese Maß­nah­men, die der Par­tei hal­fen das Inter­net wie­der unter ihre Kon­trolle zu brin­gen. Denn bei aller Kri­tik gelang es der Par­tei, ihr Han­deln als Ver­trauen stif­tende Maß­nahme zu ver­kau­fen. Seit Jah­ren hat­ten weite Teile der chi­ne­si­schen Bevöl­ke­rung das Gefühl ein Ver­fall von gesell­schaft­li­cher Moral zu erle­ben. Sinn­bild­lich wurde ein Video aus Süd­china, auf dem zu sehen ist, wie ein Auto ein Kind anfährt, die­ses ver­letzt lie­gen bleibt und anschlie­ßend Dut­zende vor­bei­ge­hen – ohne zu hel­fen. Ein ande­res Bei­spiel, das viral ging, han­delt von einem alten Mann, der sich beim Aus­stei­gen aus dem Bus ver­letzte. Ein Pas­sant half dem alten Mann, brachte ihn ins Kran­ken­haus, war­tete die Unter­su­chungs­er­geb­nisse ab und brachte ihn schließ­lich nach Hause. Wenige Tage spä­ter zeigte ihn der alte Mann an und behaup­tete, der Pas­sant habe ihn geschupst und damit die Ver­let­zung ver­ur­sacht. Zum Ent­set­zen der Inter­net­ge­meinde wurde der Pas­sant in ers­ter Instanz schul­dig gespro­chen. Die Begrün­dung: Dass er im Kran­ken­haus gewar­tet habe, sei Beleg für seine Schuldgefühle.

Unter sei­ner Regie brachte der chi­ne­si­sche Par­tei­staat das Inter­net wie­der unter seine Kon­trolle: Lu Wei.

Im Zuge der rapi­den Digi­ta­li­sie­rung und einem emp­fun­de­nen Ero­die­ren tra­di­tio­nel­ler Moral ver­sprach der Staat mit mehr Kon­trolle, auch durch digi­tale Medien, wie­der Ord­nung her­zu­stel­len. Und die Bevöl­ke­rung? Sie glaubte es in wei­ten Tei­len. So schrieb die Frau­en­rechts­ak­ti­vis­tin Xiao Meili ein­mal auf Weibo:

„Es wer­den auch Social media Accounts gelöscht, die nur Witze und Gos­sip ver­brei­ten. Es gibt viele Ver­mu­tun­gen, aber nie­mand kennt die Gründe dafür. Viel­leicht weiß noch nicht ein­mal die­ser große Appa­rat selbst, der in sich nicht einig ist, was die Gründe sind. Aber was wir sicher wis­sen ist, dass diese Maschine zuneh­mend tun kann, was sie will. Das Mons­ter wächst. Es gibt Men­schen, die haben mir Kom­men­tare geschickt wie diese: „Warum ver­su­chen sie nicht andere Men­schen ein­zu­schüch­tern? Warum beläs­ti­gen sie nur dich? Was ist das Pro­blem mit dir?“ Und ich ver­stehe sie: Men­schen, die in einer Umge­bung leben, in der Wider­stand nicht erlaubt ist, glau­ben sehr leicht an das, was ihnen die Mäch­ti­gen sagen. Wie soll­ten sie sonst mit ihrer Situa­tion fer­tig wer­den?! Es braucht Mut die Wahr­hei­ten der Welt, in der wir leben, zu akzeptieren.“

Der lang­jäh­rige Kor­re­spon­dent der Süd­deut­schen Zei­tung, Kai Stritt­mat­ter, berich­tet ganz ähnlich:

„Die­sen Gedan­ken hörte ich öfter. „Die wah­ren Pech­vö­gel in die­sem Sys­tem sind die, die es durch­schaut haben,“ sagte mir eine Pekin­ger Leh­re­rin. „Am bes­ten, du bleibst einer von denen, die durch­ein­an­der und bene­belt durchs Leben gehen, dann bist du auf der siche­ren Seite.“ Und der Künst­ler Ai Wei­wei schrieb ein­mal auf Twit­ter: „Sobald du ver­suchst dein Vater­land zu ver­ste­hen, hast du dich schon auf den Pfad des Ver­bre­chens bege­ben.“ Den selbst­mör­de­ri­schen Weg der Bür­ger­rechts­an­wälte und Dis­si­den­ten zu gehen ist nur weni­gen gege­ben, den ande­ren macht die Erkennt­nis das Leben in der Lüge nur qualvoller.“

Die Coro­na­pan­de­mie hat die Lage in China nur noch ver­schlim­mert. Jetzt sind es nicht nur mora­li­sche Sor­gen, son­dern auch gesund­heit­li­che, die in der brei­ten Bevöl­ke­rung zu einem Ruf nach staat­li­cher Kon­trolle führen.

Als Xi Jin­ping 2012/2013 an die Macht kam, galt China bereits als unfrei. Die ame­ri­ka­ni­sche NGO „Free­dom House“ misst jedes Jahr den Grat der Frei­heit auf der gan­zen Welt und quan­ti­fi­ziert ihn auf einer Skala von 0 bis 100. Als Xi Prä­si­dent wurde, lag Chi­nas Wer­tung bei „17“, wobei 100 das größte Aus­maß an Frei­heit bedeu­tet. Schon damals war die Frei­heit also gering. Heute, keine zehn Jahre spä­ter, ist der Wert auf „9“ gesun­ken. Auf nied­ri­gem Niveau hat sich die Frei­heit in China unter Xi noch ein­mal fast hal­biert. Was das Han­deln von Xi Jin­ping und Lu Wei aber auch zeigt, ist, dass die mäch­tigste Auto­kra­tie der Welt bis heute die Kraft des Wor­tes, der freien Rede fürch­tet. Die Pekin­ge­rin Zhao Xiaoli schreibt:

“Xīwàng”, die Hoff­nung hat Frau Zhao noch nicht verlassen.

„Selbst wenn man nichts ver­än­dern kann, haben Wör­ter Macht. Gespro­chene Wör­ter sind viel mäch­ti­ger als geheime Mei­nun­gen. Worte, die öffent­lich wer­den, sind so viel ein­fluss­rei­cher als geflüs­terte Unter­hal­tun­gen. Expli­zite Oppo­si­tion ist viel kraft­vol­ler als die Meta­pher. Wenn du auch glaubst, dass dies ein kri­ti­scher und ver­zwei­fel­ter Moment ist, dann gib nicht die Kraft der Wör­ter auf. Warte nicht auf den Tag, an dem wir Worte nicht mehr benut­zen können.“

 

Gao Zhis­heng (geb. 1964) ist Men­schen­rechts­an­walt. Zur­zeit ist er „ver­misst“. Er unter­stützte und beriet häu­fi­ger Ange­hö­rige reli­giö­ser Min­der­hei­ten wie Falun Gong oder Mit­glie­der christ­li­cher Haus­kir­chen. Gao ist selbst Christ. 2005 ent­zog ihm die Jus­tiz­be­hörde seine Zulas­sung als Anwalt. „Ver­misst“ (d.h. in inof­fi­zi­el­ler Haft) war er bereits von 2009–2011, anschlie­ßend ein paar Jahre in Haft. In der jet­zi­gen Situa­tion ruft amnesty dazu auf, Briefe an den Minis­ter für öffent­li­che Sicher­heit zu schreiben.

Ilham Tohti (geb. 1969), Pro­fes­sor für Wirt­schafts­wis­sen­schaft; er kri­ti­sierte den Umgang der chi­ne­si­schen Regie­rung mit der uigu­ri­schen Min­der­heit, der er selbst ange­hört.
„Ich weiß nicht mal, ob mein Vater noch lebt,” sagt seine Toch­ter 2019, als sie für ihn in Brüs­sel den Men­schen­rechts­preis des EU-Parlamentes ent­ge­gen­nimmt. („Sacharow-Preis“). „Das letzte Mal spre­chen konnte ich ihn 2014. 2017 habe ich das letzte Mal von ihm gehört.“
Tohti wurde 2014 „wegen Sepa­ra­tis­mus“ zu lebens­lan­ger Haft ver­ur­teilt. Er hatte 2006 das 
Inter­net­por­tal Uyghu­rOn­line gegrün­det. Ver­bo­ten wurde es mit dem Vor­wurf, dass es Unru­hen unter den Uigu­ren beför­dere. Tohti ver­trat die Inter­es­sen der Uigu­ren und war zugleich stets um eine Ver­stän­di­gung mit den Han-Chinesen bemüht.

Liu Xiaobo (1955 — 2017), Schrift­stel­ler, Lite­ra­tur­kri­ti­ker, Men­schen­rechts­ak­ti­vist, Nobel­preis­trä­ger, Dozent an der Päd­ago­gi­schen Uni­ver­si­tät in Peking und seit 2003 Prä­si­dent des Pen-Clubs China. 2008 unter­stützte er mit 302 ande­ren Intel­lek­tu­el­len das im Inter­net ver­öf­fent­lichte Bür­ger­rechts­ma­ni­fest Charta 08, wurde dar­auf­hin wegen „Unter­gra­bung der Staats­ge­walt“ fest­ge­nom­men und 2009 zu elf Jah­ren Haft ver­ur­teilt. 2017 ver­starb er an einer Krebs­er­kran­kung in Haft.

Ren Zhi­qiang (geb. 1951), Unter­neh­mer, Immo­bi­li­en­ma­na­ger, Blog­ger und schar­fer Kri­ti­ker von Xi Jin­ping. Er bezeich­net z.B. die chi­ne­si­sche Corona-Politik als ver­ant­wor­tungs­los und nennt den Prä­si­den­ten im Inter­net anonym “Clown, der keine Klei­der anhat und trotz­dem fest ent­schlos­sen ist, den Kai­ser zu spie­len.” Dar­auf­hin wird er sehr schnell ver­haf­tet und noch 2020 zu 18 Jah­ren Haft ver­ur­teilt. Ange­klagt wird er — wie dies oft bei Regime­kri­ti­kern geschieht — nicht wegen sei­ner Kri­tik, son­dern wegen Kor­rup­tion, Ver­un­treu­ung öffent­li­cher Gel­der und Macht­miss­brauch. Ren soll sei­nen kri­ti­schen Essay ursprüng­lich nur im Freun­des­kreis geteilt haben. Ein Ande­rer soll ihn öffent­lich gemacht haben. Ren ist seit lan­gem als schar­fer Kri­ti­ker bekannt; 37 Mio Fol­lo­wer hatte er bei Weibo zu Anfang der 2000er Jahre; vor eini­gen Jah­ren wurde dann sein Konto in sozia­len Netz­wer­ken ganz gesperrt.

Wei Jings­heng (geb. 1950) zählt zu den bedeu­tends­ten poli­ti­schen Dis­si­den­ten der Volks­re­pu­blik China. Er betei­ligte sich aktiv an der Demo­kra­tie­be­we­gung, die nach dem Tod Maos (1976) ent­stand, schrieb ein­fluss­rei­che Texte für die Wand­zei­tun­gen im sog. „Pekin­ger Früh­ling“ (1978); 1979 wurde er fest­ge­nom­men und wegen „Geheim­nis­ver­rat“ zu 15 Jah­ren Haft ver­ur­teilt. Nach sei­ner Ent­las­sung enga­giert er sich erneut für die Demo­kra­ti­sie­rung Chi­nas, wird wie­der ver­haf­tet und nun (1995) wegen des „Ver­suchs die Regie­rung zu stür­zen“ ange­klagt. 1996 wird ihm der Sacharow-Menschenrechtspreis des Euro­päi­schen Par­la­men­tes ver­lie­hen. Durch inter­na­tio­na­len Druck wird er 1997 vor­zei­tig frei­ge­las­sen und sofort in die USA abge­scho­ben. Auch von dort aus enga­giert er sich wei­ter für die Demo­kra­ti­sie­rung Chi­nas und grün­det die Over­seas Chi­nese Demo­racy Coalition.

Im Jahr 2008, kurz bevor in Peking die Olym­pi­schen Spiele in einem neuen, auf­se­hen­er­re­gen­den Sta­dion, das als „Vogel­nest“ bekannt wurde, eröff­net wur­den, erschüt­terte ein schwe­res Erd­be­ben die Pro­vinz Sichuan. Der Künst­ler Ai Wei­wei, der auch am Design des „Vogel­nests“ betei­ligt gewe­sen war, recher­chierte die Namen der Toten. Dar­un­ter waren viele Jugend­li­che, die zum Zeit­punkt des Bebens in den Schu­len gewe­sen waren. Viele Schul­ge­bäude waren ange­sichts von Kor­rup­tion mit erheb­lich schlech­te­ren Sicher­heits­stan­dards gebaut. So zog Ai den Zorn des Regimes auf sich, erlitt bei den Recher­chen auf­grund von Poli­zei­ge­walt gar eine Hirn­blu­tung. Ein Jahr spä­ter wurde sein Blog gesperrt. Ai Wei­wei pro­tes­tierte immer wie­der in den unter­schied­lichs­ten Wei­sen gegen die KP-Herrschaft. Gegen seine Über­wa­chung pro­tes­tierte er bei­spiels­weise, indem er in sei­nem Pri­vat­haus Kame­ras instal­lierte und diese live ins Inter­net über­trug. 2011 war Ai in Haft, hatte bis 2015 Aus­rei­se­ver­bot. Nach meh­re­ren Jah­ren in Ber­lin lebt er heute in Großbritannien.

 

 

Xu Zhiyong (geb. 1973) Ist Rechts­an­walt und seit Jah­ren eine wich­tige Per­sön­lich­keit der Demo­kra­tie– und Bür­ger­rechts­be­we­gung. Im Februar 2020 wurde er erneut ver­haf­tet, nach­dem er in offe­nen Brie­fen und online-Posts die Regie­rung kri­ti­siert hatte. Die Anklage zielt auf „Unter­gra­bung der Staats­ge­walt“; dar­auf steht bis zu 15 Jah­ren Haft.