Interkultureller Dialog
„Die Frage, die wir heute, nach sechzig Jahren stellen müssen, heißt:
Kann der Holocaust Werte schaffen?
Eine lebensfähige Gesellschaft muss ihr Wissen,
ihr Bewusstsein von sich selbst
und von den eigenen Bedingungen wach halten
und ständig erneuern…
Der Holocaust ist ein Trauma der europäischen Zivilisation,
und es wird zu einer Existenzfrage für diese Zivilisation werden,
ob dieses Trauma in Form von Kultur oder Neurose,
in konstruktiver oder destruktiver Form in den Gesellschaften Europas weiterlebt…”
formulierte Imre Kertesz, ungarischer Literaturnobelpreisträger, anlässlich der
Gründung der Margit-Horváth-Stiftung im Juli 2004.
(krankheitsbedingt verlesen von seiner Frau Magda Kertesz)
Die Margit-Horváth-Stiftung setzt sich für Menschenrechte, die Förderung von Toleranz, Respekt und Völkerverständigung ein.
Die rassistische Politik und die grundlegenden Verletzungen von Menschenwürde während der NS-Zeit versucht die Stiftung differenziert zu vermitteln und damit zugleich die Menschenrechte im Bewusstsein und Handeln junger Menschen gleich welcher Herkunft zu verankern und zu stärken.
Daher führt die Stiftung eine Vielzahl internationaler Projekte, vor allem internationale work-and-study-camps sowie Studienfahrten ins europäische Ausland durch. Dies beinhaltet zum Beispiel auch die Beschäftigung deutscher NS-Geschichte im europäischen Kontext, Besatzungspolitik, Verfolgung von Widerstandsgruppen sowie Minderheiten, Deportation, Formen der Kollaboration der dortigen Bevölkerung, Formen von Sabotage und Widerstand sowie deren Aufarbeitung nach 1945.
Ein Beispiel dafür ist eine Studienfahrt nach Paris im Juni 2008 zum Thema „Deutsche Besatzung in Frankreich während des Zweiten Weltkrieges“.
Rukiye, eine deutsch-türkische Teilnehmerin, resümierte am Ende der Fahrt:
„Jeden Tag bekommen wir zu hören, wie ein Mensch einen anderen Menschen tötet, oder wie früher eine Gruppe von Menschen diskriminiert und ausgeschlossen wurde, nur weil sie eine andere Religion hatte oder nur weil sie sich anders anzogen.
Es wird immer irgendeine Gruppe aus der Gesellschaft ausgeschlossen.
Warum ist das denn so??
Warum können nicht viele verschieden aussehende Menschen zusammen leben??
Warum wollen die einen besser sein als die anderen??
Wenn Gott alle Menschen gleich sieht, dann sollte doch kein Mensch, der von Gott erschaffen wurde, seine Mitmenschen als „anders“ ansehen.
Dass mich die Fahrt nach Paris innerlich so viel bewegen könnte, hätte ich nie gedacht.“
Julia, eine ukrainische Geschichtsstudentin, die 2005 an einem work-and-study Camp in Mörfelden-Walldorf und 2006 an einer Studienfahrt nach Ungarn teilgenommen hatte, resümiert ihre Erfahrung in den Projekten:
„Man hat sich gewundert: Was bedeutet es für dich, du bist doch keine Deutsche, keine Jüdin, warum gräbst du in dieser Erde, in dieser für dich fremden Geschichte? Damals konnte ich es noch nicht richtig erklären. Damals. Die Fahrt nach Ungarn aber gab mir das Kostbarste, was sie geben konnte: die Antwort. Die Teilnahme an diesem Projekt war für mich wie ein Hinausgehen in andere, weitere, größere Maßstäbe, in die Geschichte anderer Staaten, in die Schmerzen anderer Völker. Man entdeckt erstaunt, dass es in der Tat wenige Unterschiede gibt.
Dieses Projekt hat mir die allerwichtigste Sache beigebracht:
Je näher wir uns selber kommen, desto näher kommen wir den anderen.
Nur wenn du dir selbst zuhören kannst, bist du in der Lage, den anderen zuzuhören.
Nur die innere Einstellung, offen zu sein, ermöglicht diesen Prozess der Verständigung.“