Vor 90 Jahren: Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933
Seitdem der “Börsenverein des Deutschen Buchhandels” 2021 dankenswerterweise die “Woche der Meinungsfreiheit” ins Leben gerufen hat, verfasst die Margit-Horváth-Stiftung alljährlich am Tage der Bücherverbrennung einen eigenen Beitrag. Siehe dazu: 2021 und 2022.
Aus Anlass des 90. Jahrestages der Bücherverbrennung haben wir uns dazu entschlossen ausnahmsweise einmal zwei Beiträge zu veröffentlichen. Heute beginnen wir mit Notizen von Erich Ebermayer, der diesen Abend in einem Leipziger Weinkeller erlebte; anschließend zitieren wir einem Beitrag von Klaus Mann zum sog. “Treuegelöbnis”, das 88 deutsche Schriftsteller 1933 für den “Führer” unterzeichneten.
“Die Tatsache dieser Bücherverbrennung ist etwas Irreparables”
von Erich Ebermayer
Leipzig, 10. Mai 1933
“Was heute Abend geschah, ist seit Beginn der Revolution zweifellos das Schwerste für mich und das Schwerwiegendste überhaupt. Es kam völlig unerwartet.
Ich saß mit M. in einer Weinstube beim Alten Theater, als plötzlich das Radio aufquirlte. Anfangs hörten wir gar nicht hin. Dann schraken wir auf. Was ist da los? „Wir befinden uns auf dem Schlossplatz in Berlin,“ sagt der Sprecher. „Der Scheiterhaufen ist errichtet!“ Der Scheiterhaufen? Ein Freudenfeuer? Ein Siegesfeuer? Ein verspätetes Maifeuer? Ich bin ein alter Freund von Maifeuern – sollen die Nazis ihre Siege getrost durch Feuer feiern! „Hunderte von Studenten schleppen immer neue Wagenladungen heran …“
Wagenladungen – wovon zum Teufel? „Tausende und Abertausende von Menschen füllen Kopf an Kopf den weiten Platz. Eine warme Frühlingsnacht liegt über Berlin.“ Zwischen den leisen Worten des Sprechers ist das Raunen der Masse zu hören, Rufe, Autohupen, das Manövrieren von schweren Lastwagen.
Was geht da vor? Wir lauschen in gespannter Erregung, ich fühle, dass da etwas Tolles geschieht. Und dann geht es los. Irgendeiner spricht, ein Führer der Studenten, soviel wir verstehen: schneidend, kalt. Voll dumpfen Hasses und forscher Dummheit – diese Nazimischung kennen wir ja nun schon zur Genüge. Er spricht im Namen der Berliner Studenten, im Namen der deutschen Jugend, im Namen des geistigen Deutschland. Worte, so unsagbar albern, verlogen, phrasentriefend, wie wir sie selbst in diesen vergangenen drei Monaten selten gehört haben. Dieser einfältige Schwätzer wagt es, die deutsche Literatur der letzten fünfzig Jahre anzuklagen, die Dichtung Europas zu begeifern. Im Namen der Jugend sagt er ihr den Kampf an und die restlose Vernichtung — !
Jetzt wird der Scheiterhaufen von Studenten entzündet. Man hört im Lautsprecher die ersten Flammen aufschlagen, als ob Lappen im Wind schlügen, so klingt es. Dann knackt Holz. Äste brechen. Das Lodern der großen Flamme ist zu hören.
M. und ich sitzen wie erstarrt, wie in einem Krampf da. Ringsum die Bürger hinter ihren Schoppen kümmern sich kaum um das, was vorgeht. Es interessiert sie nicht, es sind ja keine „Nachrichten“ und keine „Musik“.
Und doch ist es die ungeheuerlichste Nachricht, die an diesem Abend den Äther durcheilt, die tollste Musik! Jetzt tritt ein Student vor den brennenden Holzstoß, eine hohe erregte Stimme ruft:
„Ich übergebe der Flamme das Werk des …“
Wie ein Peitschenhieb saust der Name durch den Raum. Ein Name, der diesen Leuten hier in der kleinen Leipziger Weinstube wenig oder nichts sagt, der mir ein Stück meiner geistigen Welt bedeutet, dem ich Stunden reiner Beglückung und tiefer Erkenntnis verdanke, der Name manchen Mannes, an dessen Tisch ich oft und oft gesessen habe.
Ein anderer Student tritt vor: „Ich übergebe der Flamme das Werk des ….“
Ein Mensch, den ich gern habe, mit dem ich gewandert bin in den Tälern des Harzes und an den Küsten Italiens. Und immer neue Studenten treten vor. Neue Namen klingen in den Äther hinaus. Jeder Name ist ein Stoß mitten in mein Herz. Thomas Mann, Stefan Zweig, Franz Werfel, Fritz von Unruh, Ernst Toller, Erich Maria Remarque, Bert Brecht, Heinrich Mann, Walter Hasenclever, Theodor Wolff, Klaus Mann, Arnold Zweig, Kurt Tucholsky. Die Russen. Die Engländer. Die Franzosen. Und wieder Deutsche. Endlos ist die Reihe. Nach jedem Aufruf das Gejohle der Menge, das harte Aufschlagen der auf den Scheiterhaufen geschleuderten Bücherstöße, das gierige Züngeln und Prasseln der Flamme, die sich auf neue Beute stürzt.
Die Studenten sprechen langsam, überdeutlich. Unsere Nerven sind am Zerreißen. Ich muss jeden Augenblick damit rechnen, dass auch mein Name aufklingt. M. ist bleich wie die weißgekalkte Wand hinter ihm. Alles Leuchten ist aus seinen hellen Augen geschwunden. Ein wilder, stummer, leidenschaftlicher Hass, eine Empörung ohne Maß, eine Trauer, als ob der Tod ihm verkündet würde, liegt auf den reinen und jungen Zügen. Jedes Mal wenn ein Autor verbrannt wird, dessen Vorname Erich ist, fasst er instinktiv nach meinem Arm, die Sekunde zwischen Vorname und Nachname dehnt sich endlos. Es sind leider drei oder vier Erichs unter den Verbrannten ….
Dann ist es aus. Ich bin nicht dabei. Nicht gefährlich genug, nicht „berühmt“ genug! Ich werde auf kaltem Wege abgewürgt. Nicht durch die läuternde Flamme. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert sein soll. Das andere wäre wenigstens eine klare Lösung gewesen.
Wir gehen hinaus in die warme, düfteschwere Nacht. Ein paar Schritte, dann sind wir im Park. Weit dehnen sich die Wiesen im milchigen Licht der Nacht. Schweigend gehen wir, an Bänken vorbei, wo Pärchen umschlungen in der linden Mainacht sitzen, tiefer in den Wald hinein, ins Dunkel.
Wir wissen, wir haben eben etwas sehr Schweres erlebt, etwas Endgültiges: die Unantastbarkeit des freien menschlichen Gedankens ist aufgehoben. Die Tatsache dieser Bücherverbrennung ist etwas Irreparables. Es ist Schande und Elend. Es ist Kapitulation und Auflösung. Es ist Scheidung des neuen Deutschlands von der gesitteten Welt. [ …. ]
Wir sitzen auf einer Bank tief im Wald. Dunkel um uns, Stille. Nur das ferne Brausen der Stadt. Fern wölbt sich der rote Lichtbogen über der Gegend des Hauptbahnhofs, als brenne auch dort ein riesiger Scheiterhaufen.
“Wir müssen weg …”, sagt M. leise, als spüre er meine Gedanken.” …
Aus: Erich Ebermayer “Denn heute gehört uns Deutschland … “, zitiert nach: “Dort wo man Bücher verbrennt”, hrsg. von Klaus Schöffling, Frankfurt 1983, S. 57 — 60
.
Doch zugleich soll nicht vergessen, dass es auch 88 deutsche Schriftsteller gab, die im Oktober 1933 persönlich ein sog. “Treuegelöbnis” für den damaligen Reichskanzler Adolf Hitler unterschrieben.
Dazu gehörten zum Beispiel u.a. auch Gottfried Benn, Borries von Münchhausen oder auch Ina Seidel.
Dieses “Gelöbnis treuester Gefolgschaft” lautet wie folgt:
„Friede, Arbeit, Ehre und Freiheit sind die heiligsten Güter jeder Nation und die Voraussetzung eines aufrichtigen Zusammenlebens der Völker untereinander. Das Bewusstsein der Kraft und der wiedergewonnenen Einheit, unser aufrichtiger Wille, dem inneren und äußeren Frieden vorbehaltlos zu dienen, die tiefe Überzeugung von unseren Aufgaben zum Wiederaufbau des Reiches und unsere Entschlossenheit, nichts zu tun, was nicht mit unserer und des Vaterlandes Ehre vereinbar ist, veranlassen uns, in dieser ernsten Stunde, vor Ihnen, Herr Reichskanzler, das Gelöbnis treuester Gefolgschaft feierlichst abzulegen.“
.
Klaus Mann reagierte darauf empört und schrieb 1933 den folgenden Text:
“88 Am Pranger”
“Sie haben sich selbst an den Pranger gestellt; achtundachzig deutsche Schrftsteller, darunter solche, die wir der wirklichen Literatur zuzurechnen gewohnt waren. Sie legen vorm Herrn Reichkanzler das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ ab …
Sie wollen nichts tun, erklären die Achtundachzig, „was nicht mit unserer und des Vaterlands Ehre zu vereinen ist“, tun es aber, indem sie vor aller Welt lügen, behaupten, dass sie den Kanzler für friedliebend halten und sich für die „wiedergewonnene Einigkeit der Nation“ bei ihm bedanken. [ … ] Die sich hier selbst angeprangert haben, sollen nie wieder in Frage kommen. Sie seien erledigt! Denn man erzähle uns doch nachher nicht, solche Schritte seien „unter Zwang“ erfolgt. Wenn Hitler und sein Kultusminister keine Macht mehr haben, heißt es dann plötzlich, SA-Leute seien mit vorgehaltenem Revolver in die Wohnung von so einem Otto Flake eingedrungen und hätten geschrien: „Unterschreibe!“ Unsinn, so war es doch gar nicht. Da hat sich einer was ausgedacht, vielleicht der Hanns Johst oder auch nur jemand, der Carl Magnus Wehner heißt, ich weiß zufällig, wer das ist, ein schwatzhafter Schurke. Dann ist ein Rundschreiben ergangen.
Otto Flake hat es mit der Morgenpost bekommen. Einen Augenblick mag er gezögert haben: soll ich, soll ich nicht? Man kann ja nicht wissen, wie lange die Geschichte noch dauert. Ach was, eine Zeitlang dauerts gewiss noch. Man kann beim Rundfunk jetzt so viel verdienen. Nachher vergisst man es auch wieder, dass wir jetzt mitgemacht haben. Otto Flake! Als man neunzehn Jahre alt war, machten einem seine kulturpolitischen Essays Eindruck, sie schienen von einer tröstlichen Klarheit. „Zum guten Europäer“ hießen sie. Ein feiner Europäser! Weg mit ihm!
Mit dem ersten Teil ihrer Berechnung, die Rundfunkhonorare betreffend, mögen die Herrschaften ja recht behalten haben; nicht aber mit dem zweiten: dass wir vergessen werden. ….”
Klaus Manns damalige Empörung über Otto Flake ist sehr verständlich. Es geht dabei zum einen um dessen frühere Schriften, zum anderen kannte er ihn auch persönlich gut. Flake war ein Freund der Familie Mann. Und dieses “Gelöbnis treuester Gefolgschaft” wurde von der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste initiiert, die 1926 unter Mitwirkung seines Vaters, Thomas Mann, gegründet worden war. Dessen Bruder, Heinrich Mann, war Anfang 1933 Präsident dieser Sektion, wurde aber bereits Mitte Februar, gerade mal zwei Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, zum Rücktritt gezwungen.
Nach heutigem Forschungsstand unterzeichnete Otto Flake das “Treuegelöbnis” allerdings auf Bitten seines jüdischen Verlegers Samuel Fischer, der 1933 noch hoffte, das Verlagshaus retten und sich irgendwie mit den neuen Machthabern arrangieren zu können. Dies war damals gerade unter älteren deutschen Juden keine ganz ungewöhnliche Haltung. Flake, ein im Grunde kosmopolitisch eingestellter Autor, blieb die NS-Zeit über in Deutschland. Immer wieder war er zahlreicher Kritik durch verschiedene NS-Behörden ausgesetzt. Seine Werke wurden totgeschwiegen; er bezeichnete seinen damaligen Zustand schließlich als innere Emigration.
Der eingangs zitierte Mitunterzeichner Gottfried Benn war demgegenüber 1933 ausgesprochen aktiv im Hinblick auf die nationalsozialistische “Gleichschaltung “der Preußischen Akademie der Künste, übernahm kommissarisch zunächst sogar das Präsidentenamt von Heinrich Mann und forderte in zahlreichen Radioansprachen mehrfach von deutschen Schriftstellern und Intellektuellen die bedingungslose Unterordnung unter die NS-Regierung.
Im Laufe der folgenden zwei Jahre wurde allerdings deutlich, dass seine expressionistische Lyrik von den NS-Kulturverantwortlichen keineswegs geschätzt, sondern als zu individualistisch und zum Teil sogar als unsittlich abgelehnt wurde. Benns letzte Publikation in der NS-Zeit erschien 1936. Auch sie stieß erneut auf heftige Kritik.
Aus: Klaus Mann “Das Neue Tage-Buch”, Heft 19/1933, zitiert nach: „Dort wo man Bücher verbrennt“, hrsg. von Klaus Schöffling, Frankfurt 1983, S. 203/204