Dr. Sedig­heh Vas­maghi, Juris­tin, Frau­en­recht­le­rin, Lyri­ke­rin. Sie ist im Tehe­ra­ner Gefäng­nis inhaftiert.

Sedig­heh Vas­maghi, (geb. 1961 in Tehe­ran) ist Juris­tin und unter­rich­tete an der theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Tehe­ra­ner Uni­ver­si­tät als ein­zige Frau isla­mi­sches Recht. “Zu Beginn war ich eine Ein­zel­kämp­fe­rin, aber über­zeugte Stu­den­ten unter­stütz­ten mich. Dies war sehr hilf­reich …” Sedig­heh Vas­maghi ist zudem eine bekannte Lyri­ke­rin; neben eige­nen Tex­ten über­setzt sie auch klas­si­sche ara­bi­sche Poe­sie ins Persische.

Ich denke ein­fach an die Frei­heit, die ich selbst habe

Schwei­gen, Exil oder Gefängnis

Ich denke ein­fach daran, dass ich frei bin

Ich will aus all dem meine eigene Wahl treffen!

Ich denke ein­fach an die Frei­heit, die ich selbst habe!

Je älter ich werde

Umso gie­ri­ger scheine ich

Im Hin­blick auf die Frei­heit zu sein!

Viele Kreu­zun­gen lie­gen vor mir

Wel­chen Weg soll ich nehmen

Um mei­nen Her­zens­wunsch zu erreichen?

Wo seid ihr, Lich­ter mei­ner Sehnsucht?

Und was seid ihr, ihr Lich­ter mei­ner Sehnsucht?

Die schwar­zen Mau­ern des Schweigens

Die hohen stei­ni­gen Bro­cken des Exils

Die eiser­nen Git­ter­stäbe des Gefängnisses

Sie hal­ten uns von­ein­an­der getrennt!

Aber all diese Trennungen

Will ich überwinden!

Sedig­heh Vas­maghi pro­mo­vierte an der Uni­ver­si­tät in Tehe­ran, war zu Beginn der Reform­be­we­gung von 1999 — 2003 Mit­glied des Stadt­par­la­men­tes von Tehe­ran und zudem auch des­sen Spre­che­rin. Sie enga­gierte sich in der ira­ni­schen “Grü­nen Bewe­gung”, die 2009 als Pro­test gegen das sog. Ergeb­nis der Prä­si­dent­schafts­wah­len ent­stan­den war. Der Kan­di­dat der Reform­be­we­gung Mir Hos­sein Mus­sawi hatte in der Bevöl­ke­rung eine breite Unter­stüt­zung gefun­den, doch Prä­si­dent Mahmud Ahma­dined­schad erklärte sich zum zwei­ten Mal zum Wahl­sie­ger. Welt­weit rief dies vehe­mente Pro­teste hervor.

Die Demons­tra­tion war ver­bo­ten. Den­noch nah­men am 15. Juni 2009 mehr als eine Mil­lion Men­schen an der Pro­test­kund­ge­bung beim Tehe­ra­ner “Freiheits-Turm” teil. Anhänger*innen der bei­den Gegen­kan­di­da­ten Mus­sawi und Kar­roubi stell­ten das offi­zi­elle Wahl­er­geb­nis mas­siv in Frage.

Vas­maghi unter­stützte die Bewe­gung, arbei­tete ehren­amt­lich in einer Anwalts­kanz­lei, um Ange­klagte juris­tisch zu bera­ten, schrieb Texte zu poli­ti­schen und sozia­len The­men und hatte auch als Akti­vis­tin in Frau­en­rechts­fra­gen eine große gesell­schaft­li­che Bedeu­tung. Sie ist gläu­bige Mus­lima, kri­ti­siert vehe­ment die im Iran herr­schende Aus­le­gung des Islam als will­kür­li­chen Macht­miss­brauch und boden­lose Degra­die­rung der gesell­schaft­li­chen Stel­lung der Frau. Ihre Grund­hal­tung ist es, dass wohl jede*r meint, die eigene Reli­gion sei rich­tig. Dies mag auch jeder so für sich den­ken, aber soll andere nicht wegen ihrer Reli­gion her­ab­wür­di­gen oder gar ver­fol­gen. Sie for­mu­liert dies im Iran z.B. im Hin­blick auf die Bahai. Die Poli­tik, die der Iran gegen diese Reli­gi­ons­gruppe betreibt, kri­ti­siert sie scharf.

“Frauen, Recht­spre­chung und Islam” Dr. Vas­maghi begrün­det in ihrem Buch, dass die im Iran herr­schen­den Ansich­ten bzgl. der Rolle der Frau kei­nes­wegs auf die Schrif­ten der Reli­gion zurück­zu­füh­ren sind. — Wäh­rend sie im Gefäng­nis inhaf­tiert ist, ent­steht fol­gen­der Witz: “Ein Häft­ling geht zur Gefäng­nis­bü­che­rei und bit­tet um die­ses Buch. “Lei­der haben wir dies nicht”, sagt, der­je­nige, der die Bücher aus­leiht, “aber die Auto­rin ist ja selbst hier.

2011 wurde ein Haft­be­fehl gegen sie erlas­sen, ihr Haus wurde durch­sucht. Sie lebte kurze Zeit im Unter­grund und bekam dann von der Uni­ver­si­tät in Göt­tin­gen eine Gast­pro­fes­sur ange­bo­ten. Glück­li­cher­weise konnte sie damals das Land noch offi­zi­ell ver­las­sen. Anschlie­ßend bekam sie von Upp­sala im Rah­men eines Pro­gram­mes der “Inter­na­tio­nal Cities of Refuge Net­work” (ICORN) ein Sti­pen­dium, arbei­tete an der dor­ti­gen Uni­ver­si­tät und lebte bis 2017 gemein­sam mit ihrem Mann in Schwe­den. Wäh­rend ihres Aus­lands­auf­ent­hal­tes ver­ur­teilte das Revo­lu­ti­ons­ge­richt in Tehe­ran Sedig­heh Vas­maghi zu fünf Jah­ren Gefängnishaft.

Was ist Freiheit?

Diese Frage stellte sie sich selbst immer wie­der wäh­rend ihres Auf­ent­hal­tes in Schwe­den. In ihrem Buch “Exil oder Gefäng­nis” schil­dert sie ihren eige­nen inne­ren Dia­log: “Hier habe ich die Mög­lich­keit zu arbei­ten, zu ler­nen und zu leh­ren. Ich habe die Mög­lich­keit, Kon­takte zu pfle­gen mit der gan­zen Welt, die Mög­lich­keit, bei Kon­fe­ren­zen oder an den Uni­ver­si­tä­ten meine Mei­nung zu sagen. Ich habe die Mög­lich­keit mit der Presse zu spre­chen. Ich habe Mei­nungs– und Rede­frei­heit. Und keine Strafe droht mir. Doch was bedeu­tet das Reden in einem Land, in dem es keine Pro­bleme gibt? Das bringt mir nichts. Ich muss dort spre­chen, wo es Pro­bleme gibt.”

Sedig­heh Vas­maghi ver­lässt hier das Tehe­ra­ner Gefäng­nis Evin.

So ent­schied sie sich in den Iran zurück­zu­flie­gen — wohl­wis­send, dass sie sofort ver­haf­tet wer­den wird. In Upp­sala hatte sie viele Auto­bio­gra­phien gele­sen von Autor*innen, die im Iran inhaf­tiert waren. Sie hatte sich so prä­zise wie mög­lich vor­be­rei­tet. Bei ihrer Ankunft auf dem Tehe­ra­ner Flug­ha­fen im Okto­ber 2017 wurde sie fest­ge­nom­men, nach eini­gen Stun­den zwar wie­der frei­ge­las­sen, aber zur wei­te­ren Befra­gung beim Revo­lu­ti­ons­ge­richt in Tehe­ran vor­ge­la­den. Man hielt ihr die bereits erfolgte Gerichts­ent­schei­dung vor, die noch nicht abge­gol­ten war, ihre aus­län­di­schen Kon­takte, bei denen sie den Iran in den Dreck gezo­gen habe oder z.B. auch ihre Ableh­nung des Stei­ni­gens, eine im Iran noch immer prak­ti­zierte Form der Bestra­fung. Vas­maghi bekam keine Gele­gen­heit, zu den Vor­wür­fen Stel­lung zu neh­men und wurde gleich in das berüch­tigte Tehe­ra­ner Evin-Gefängnis über­stellt, in dem fort­lau­fend viele poli­ti­sche Gegner*innen des Regimes inhaf­tiert sind. Nach eini­ger Zeit kam sie gegen eine immens hohe Kau­tion wie­der frei.

“Wir dür­fen nicht über Men­schen schrei­ben, die getö­tet wur­den… Wir kön­nen keine Fra­gen stel­len und auch nicht über Inhaf­tierte schrei­ben.” Kom­men­tar eines Tehe­ra­ner Jour­na­lis­ten zu den Ereig­nis­sen im Novem­ber 2019.

Im Juni 2019 wurde sie erneut vor das Revo­lu­ti­ons­ge­richt gela­den, wie­der war sie wegen Akti­vi­tä­ten gegen den ira­ni­schen Staat ange­klagt und auch weil sie eine öffent­li­che Erklä­rung unter­schrie­ben hatte mit dem Titel “Respek­tiert die For­de­run­gen des Vol­kes”. Dies war eine Soli­da­ri­tät mit der Pro­test­be­we­gung, die am Mor­gen des 15. Novem­ber 2019 zunächst durch eine rapide Ben­zin­preis­er­hö­hung von bis zu 200% aus­ge­löst wurde. Die Fol­gen davon tra­fen vor allem die ärmere Bevöl­ke­rung des Iran. Inner­halb kür­zes­ter Zeit aber wei­tete sich der Pro­test poli­tisch rasch aus und dau­erte schließ­lich bis weit in das Jahr 2020 hin­ein an. Viele hal­ten dies für die größte Pro­test­be­we­gung des Lan­des seit der isla­mi­schen Revo­lu­tion 1979.

Über 100 Men­schen, dar­un­ter auch einige Kin­der, wur­den 2019 wäh­rend der Pro­teste getötet.

In sehr, sehr vie­len Städ­ten des Iran ging eine unüber­schau­bare Menge Men­schen auf die Straße, der Natio­nale Sicher­heits­rat schal­tete kur­zer­hand das Inter­net im Land ab, um die Kom­mu­ni­ka­tion unter­ein­an­der zu unter­bin­den. Harte Ein­sätze von Poli­zei und Sicher­heits­kräf­ten wur­den durch­ge­führt — auch unter Ein­satz schar­fer Muni­tion. Wie viele Men­schen damals getö­tet wur­den, lässt sich ange­sichts der unüber­schau­ba­ren Ver­hält­nisse nur schwer sagen — über 100 Men­schen waren es gewiss und über 1.000 wur­den damals ver­haf­tet. „Die Behör­den unter­drü­cken jene Ira­ner, die frus­triert sind von der auto­kra­ti­schen Regie­rung mit ihrer Repressions-Politik und die die Haupt­leid­tra­gen­den der nega­ti­ven wirt­schaft­li­chen Kon­se­quen­zen der erneu­ten US-Sanktionen sind”, sagte damals Michael Page, Lei­ter der Abtei­lung Naher Osten von Human Rights Watch.

Bezüg­lich des Ver­fah­rens gegen Sedig­heh Vas­maghi fan­den zwi­schen Juni und August 2020 drei Ver­hand­lungs­tage statt. Vor Gericht erschien sie nicht. Sie ver­öf­fent­lichte statt­des­sen ein State­ment, in dem sie juris­tisch begrün­dete, warum das Revo­lu­ti­ons­ge­richt in die­ser Sache nicht zustän­dig sei und sie ihre inhalt­li­che Argu­men­ta­tion statt­des­sen nun der öffent­li­chen Mei­nungs– und Urteils­fin­dung anheimstelle.

Das Revo­lu­ti­ons­ge­richt ver­ur­teilte Sedig­heh Vas­maghi im August 2020 zu einer ein­jäh­ri­gen Haft­strafe, weil sie gemein­sam mit 77 ande­ren Unterzeichner*innen das gewalt­same Vor­ge­hen der ira­ni­schen “Sicher­heits­kräfte” bei den Pro­tes­ten im Novem­ber 2019 kri­ti­siert hatte. Hinzu kam noch die fünf­jäh­rige Haft­strafe, zu der sie 2017 ver­ur­teilt wor­den war, die dann in eine Bewäh­rungs­strafe umge­wan­delt und nun aber wie­der ange­wen­det wurde.

“Exil oder Gefäng­nis” — die­ses Buch schrieb Sedig­heh Vas­maghi im Tehe­ra­ner Gefäng­nis und wäh­rend eini­ger kur­zer Pha­sen, in denen sie zwi­schen­durch zu Hause sein konnte. Sie beschreibt darin, wie sie sich im Exil fühlte und anschlie­ßend die Bedin­gun­gen ihrer Haft.

“Exil oder Gefängnis”

Zum Exil schreibt sie: “Ich beschäf­tige mich so viel mit die­sem Stück Erde hier, auf der ich stehe. Warum nur? Kann diese Erde denn nicht meine Hei­mat sein? Was ist der Unter­schied? Das Gleich­ge­wicht ist unter­schied­lich. Es gibt kei­nen Ver­gleich mit mei­ner Hei­mat. Hier habe ich das Gefühl, ich bin in der Luft.”

Zum Gefäng­nis schreibt Sedig­heh Vas­maghi: “Jetzt bin ich im Gefäng­nis. Will ich immer noch im Gefäng­nis blei­ben oder lie­ber doch im Exil? Ich finde, meine Wahl war rich­tig. Ich bin wie­der auf der Erde gelan­det. Hier ist mein Haus. Ich bin im Gefäng­nis. Das ist meine Schuld. Wir haben alle an die­sem kran­ken Regime mit gebaut, weil wir ins Exil gegan­gen sind oder geschwie­gen haben. Wenn wir ins Exil gehen, wer kann dann all diese Feh­ler hier kor­ri­gie­ren?

Das oben zitierte State­ment “In the Name of God of Free­dom and Wis­dom”, das Sedig­heh Vas­maghi ver­öf­fent­licht, statt sich vor Gericht zu ver­tei­di­gen, endet mit den Worten:

Ich finde, die mensch­li­che Würde basiert auf der Frei­heit. Ich will keine Selbst­zen­sur betrei­ben und ich werde nie­man­dem erlau­ben auf mir herum zu tram­peln. Ich möchte frei leben — und sei es in einer Gefäng­nis­zelle. Die hohen Mau­ern und die Eisen­stan­gen eines Gefäng­nis­ses wer­den mich nicht klein­krie­gen.

I will live for the Fri­end – wha­te­ver will be will be

Shame on whoever adepts the way of bondage

Honour goes to whoever calls for freedom.”

Respect­fully

Sedig­heh Vas­maghi, 2020

“Die Woche der Mei­nungs­frei­heit — Mehr als meine Meinung”

 

 

Sedig­heh Vas­maghi (geb. 1961 in Teheran)

 

 

Nas­rin Sotou­deh (geb. 1963 in Tehe­ran) ist eben­falls Rechts­an­wäl­tin und Men­schen­rechts­ak­ti­vis­tin. 2009 ver­trat sie zunähst viele junge Men­schen, die sich an der Pro­test­be­we­gung betei­ligt hat­ten. 2010 wurde sie selbst inhaf­tiert und wegen “Angriffe auf die natio­nale Sicher­heit” zu elf Jah­ren Haft ver­ur­teilt. 2013 wurde sie zusam­men mit eini­gen ande­ren poli­ti­schen Gefan­ge­nen vor­zei­tig ent­las­sen. Im Juni 2018 wurde sie erneut ver­haf­tet und sitzt bis heute im Gefäng­nis. 2020 wurde sie mit dem alter­na­ti­ven Nobel­preis ausgezeichnet.

 

 

Auf der Hand der Frauen– und Men­schen­rechts­ak­ti­vis­tin Nar­ges Moham­madi steht “Hijab (Kopf­tuch) und Keusch­heit sind eine Form der Gewalt gegen Frauen.” Dies ist im Iran ein sehr berühm­tes Foto, das viele, viele Nach­ah­me­rin­nen fand. Im Herbst 2020 wurde sie nach mehr­jäh­ri­ger Haft vor­zei­tig aus dem Gefäng­nis ent­las­sen. Sie war an Corona erkrankt.

 

Neda Aghan-Soltan wurde auf offe­ner Straße bei einer Demons­tra­tion in Tehe­ran am 20. Juni 2009 erschos­sen. Ihr Tod löste nicht nur im Iran, son­dern welt­weit eine große Pro­test– und Soli­da­ri­sie­rungs­welle aus.

 

“V” für “Vic­tory” (Sieg der Grü­nen Bewe­gung) — ins­be­son­dere jün­gere Frauen spiel­ten darin eine bedeu­tende Rolle.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Auf­nahme von Sedig­heh Vas­maghi aus ihrer Zeit kurz vor der erneu­ten Inhaftierung.

 

 

“In der fünf­ten und sechs­ten Dekade unse­res Lebens sind wir nicht mehr in einem Alter, in dem wir im Exil lei­den wol­len … Den­noch, ich begreife nun, dass das gegen­wär­tig herr­schende Esta­blish­ment eine Poli­tik betreibt, die die­je­ni­gen, die zurück­keh­ren, trau­rig wer­den lässt — eine Poli­tik, die uns unsere Frei­heit abspricht und uns zwingt, uns zu ent­schei­den zwi­schen Schwei­gen, Exil oder Gefäng­nis.” Sedig­heh Vas­maghi, aus einem offe­nen Brief an Prä­si­dent Rou­hani, Okto­ber 2016