Dr. Sedigheh Vasmaghi, Juristin, Frauenrechtlerin, Lyrikerin. Sie ist im Teheraner Gefängnis inhaftiert.
Ich denke einfach an die Freiheit, die ich selbst habe
Schweigen, Exil oder Gefängnis
Ich denke einfach daran, dass ich frei bin
Ich will aus all dem meine eigene Wahl treffen!
Ich denke einfach an die Freiheit, die ich selbst habe!
Je älter ich werde
Umso gieriger scheine ich
Im Hinblick auf die Freiheit zu sein!
Viele Kreuzungen liegen vor mir
Welchen Weg soll ich nehmen
Um meinen Herzenswunsch zu erreichen?
Wo seid ihr, Lichter meiner Sehnsucht?
Und was seid ihr, ihr Lichter meiner Sehnsucht?
Die schwarzen Mauern des Schweigens
Die hohen steinigen Brocken des Exils
Die eisernen Gitterstäbe des Gefängnisses
Sie halten uns voneinander getrennt!
Aber all diese Trennungen
Will ich überwinden!
Sedigheh Vasmaghi promovierte an der Universität in Teheran, war zu Beginn der Reformbewegung von 1999 — 2003 Mitglied des Stadtparlamentes von Teheran und zudem auch dessen Sprecherin. Sie engagierte sich in der iranischen “Grünen Bewegung”, die 2009 als Protest gegen das sog. Ergebnis der Präsidentschaftswahlen entstanden war. Der Kandidat der Reformbewegung Mir Hossein Mussawi hatte in der Bevölkerung eine breite Unterstützung gefunden, doch Präsident Mahmud Ahmadinedschad erklärte sich zum zweiten Mal zum Wahlsieger. Weltweit rief dies vehemente Proteste hervor.
Vasmaghi unterstützte die Bewegung, arbeitete ehrenamtlich in einer Anwaltskanzlei, um Angeklagte juristisch zu beraten, schrieb Texte zu politischen und sozialen Themen und hatte auch als Aktivistin in Frauenrechtsfragen eine große gesellschaftliche Bedeutung. Sie ist gläubige Muslima, kritisiert vehement die im Iran herrschende Auslegung des Islam als willkürlichen Machtmissbrauch und bodenlose Degradierung der gesellschaftlichen Stellung der Frau. Ihre Grundhaltung ist es, dass wohl jede*r meint, die eigene Religion sei richtig. Dies mag auch jeder so für sich denken, aber soll andere nicht wegen ihrer Religion herabwürdigen oder gar verfolgen. Sie formuliert dies im Iran z.B. im Hinblick auf die Bahai. Die Politik, die der Iran gegen diese Religionsgruppe betreibt, kritisiert sie scharf.
2011 wurde ein Haftbefehl gegen sie erlassen, ihr Haus wurde durchsucht. Sie lebte kurze Zeit im Untergrund und bekam dann von der Universität in Göttingen eine Gastprofessur angeboten. Glücklicherweise konnte sie damals das Land noch offiziell verlassen. Anschließend bekam sie von Uppsala im Rahmen eines Programmes der “International Cities of Refuge Network” (ICORN) ein Stipendium, arbeitete an der dortigen Universität und lebte bis 2017 gemeinsam mit ihrem Mann in Schweden. Während ihres Auslandsaufenthaltes verurteilte das Revolutionsgericht in Teheran Sedigheh Vasmaghi zu fünf Jahren Gefängnishaft.
Was ist Freiheit?
Diese Frage stellte sie sich selbst immer wieder während ihres Aufenthaltes in Schweden. In ihrem Buch “Exil oder Gefängnis” schildert sie ihren eigenen inneren Dialog: “Hier habe ich die Möglichkeit zu arbeiten, zu lernen und zu lehren. Ich habe die Möglichkeit, Kontakte zu pflegen mit der ganzen Welt, die Möglichkeit, bei Konferenzen oder an den Universitäten meine Meinung zu sagen. Ich habe die Möglichkeit mit der Presse zu sprechen. Ich habe Meinungs– und Redefreiheit. Und keine Strafe droht mir. Doch was bedeutet das Reden in einem Land, in dem es keine Probleme gibt? Das bringt mir nichts. Ich muss dort sprechen, wo es Probleme gibt.”
So entschied sie sich in den Iran zurückzufliegen — wohlwissend, dass sie sofort verhaftet werden wird. In Uppsala hatte sie viele Autobiographien gelesen von Autor*innen, die im Iran inhaftiert waren. Sie hatte sich so präzise wie möglich vorbereitet. Bei ihrer Ankunft auf dem Teheraner Flughafen im Oktober 2017 wurde sie festgenommen, nach einigen Stunden zwar wieder freigelassen, aber zur weiteren Befragung beim Revolutionsgericht in Teheran vorgeladen. Man hielt ihr die bereits erfolgte Gerichtsentscheidung vor, die noch nicht abgegolten war, ihre ausländischen Kontakte, bei denen sie den Iran in den Dreck gezogen habe oder z.B. auch ihre Ablehnung des Steinigens, eine im Iran noch immer praktizierte Form der Bestrafung. Vasmaghi bekam keine Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und wurde gleich in das berüchtigte Teheraner Evin-Gefängnis überstellt, in dem fortlaufend viele politische Gegner*innen des Regimes inhaftiert sind. Nach einiger Zeit kam sie gegen eine immens hohe Kaution wieder frei.
Im Juni 2019 wurde sie erneut vor das Revolutionsgericht geladen, wieder war sie wegen Aktivitäten gegen den iranischen Staat angeklagt und auch weil sie eine öffentliche Erklärung unterschrieben hatte mit dem Titel “Respektiert die Forderungen des Volkes”. Dies war eine Solidarität mit der Protestbewegung, die am Morgen des 15. November 2019 zunächst durch eine rapide Benzinpreiserhöhung von bis zu 200% ausgelöst wurde. Die Folgen davon trafen vor allem die ärmere Bevölkerung des Iran. Innerhalb kürzester Zeit aber weitete sich der Protest politisch rasch aus und dauerte schließlich bis weit in das Jahr 2020 hinein an. Viele halten dies für die größte Protestbewegung des Landes seit der islamischen Revolution 1979.
In sehr, sehr vielen Städten des Iran ging eine unüberschaubare Menge Menschen auf die Straße, der Nationale Sicherheitsrat schaltete kurzerhand das Internet im Land ab, um die Kommunikation untereinander zu unterbinden. Harte Einsätze von Polizei und Sicherheitskräften wurden durchgeführt — auch unter Einsatz scharfer Munition. Wie viele Menschen damals getötet wurden, lässt sich angesichts der unüberschaubaren Verhältnisse nur schwer sagen — über 100 Menschen waren es gewiss und über 1.000 wurden damals verhaftet. „Die Behörden unterdrücken jene Iraner, die frustriert sind von der autokratischen Regierung mit ihrer Repressions-Politik und die die Hauptleidtragenden der negativen wirtschaftlichen Konsequenzen der erneuten US-Sanktionen sind”, sagte damals Michael Page, Leiter der Abteilung Naher Osten von Human Rights Watch.
Bezüglich des Verfahrens gegen Sedigheh Vasmaghi fanden zwischen Juni und August 2020 drei Verhandlungstage statt. Vor Gericht erschien sie nicht. Sie veröffentlichte stattdessen ein Statement, in dem sie juristisch begründete, warum das Revolutionsgericht in dieser Sache nicht zuständig sei und sie ihre inhaltliche Argumentation stattdessen nun der öffentlichen Meinungs– und Urteilsfindung anheimstelle.
Das Revolutionsgericht verurteilte Sedigheh Vasmaghi im August 2020 zu einer einjährigen Haftstrafe, weil sie gemeinsam mit 77 anderen Unterzeichner*innen das gewaltsame Vorgehen der iranischen “Sicherheitskräfte” bei den Protesten im November 2019 kritisiert hatte. Hinzu kam noch die fünfjährige Haftstrafe, zu der sie 2017 verurteilt worden war, die dann in eine Bewährungsstrafe umgewandelt und nun aber wieder angewendet wurde.
“Exil oder Gefängnis”
Zum Exil schreibt sie: “Ich beschäftige mich so viel mit diesem Stück Erde hier, auf der ich stehe. Warum nur? Kann diese Erde denn nicht meine Heimat sein? Was ist der Unterschied? Das Gleichgewicht ist unterschiedlich. Es gibt keinen Vergleich mit meiner Heimat. Hier habe ich das Gefühl, ich bin in der Luft.”
Zum Gefängnis schreibt Sedigheh Vasmaghi: “Jetzt bin ich im Gefängnis. Will ich immer noch im Gefängnis bleiben oder lieber doch im Exil? Ich finde, meine Wahl war richtig. Ich bin wieder auf der Erde gelandet. Hier ist mein Haus. Ich bin im Gefängnis. Das ist meine Schuld. Wir haben alle an diesem kranken Regime mit gebaut, weil wir ins Exil gegangen sind oder geschwiegen haben. Wenn wir ins Exil gehen, wer kann dann all diese Fehler hier korrigieren?”
Das oben zitierte Statement “In the Name of God of Freedom and Wisdom”, das Sedigheh Vasmaghi veröffentlicht, statt sich vor Gericht zu verteidigen, endet mit den Worten:
“Ich finde, die menschliche Würde basiert auf der Freiheit. Ich will keine Selbstzensur betreiben und ich werde niemandem erlauben auf mir herum zu trampeln. Ich möchte frei leben — und sei es in einer Gefängniszelle. Die hohen Mauern und die Eisenstangen eines Gefängnisses werden mich nicht kleinkriegen.”
I will live for the Friend – whatever will be will be
Shame on whoever adepts the way of bondage
Honour goes to whoever calls for freedom.”
Respectfully
Sedigheh Vasmaghi, 2020