Rückblicke auf die Bücherverbrennung 1933: 1943 — 1948 — heute
Oskar Maria Graf (1894 — 1967)
Zum Zeitpunkt der Bücherverbrennung war der der damals 39-jährige Oskar Maria Graf in Österreich. Als er erfuhr, dass er von den Nationalsozialisten nicht auf die Liste der verfemten Autoren gesetzt worden war, veröffentlichte er zwei Tage später (12. Mai 1933) in der “Wiener Arbeiterzeitung” die nebenstehende Anzeige. Graf war ein bayrischer Anarchist, zeitweise Mitglied verschiedener sozialistischer Parteien, aber sicher nie ein Parteisoldat. Nach der Machtübernahme emigrierte er über Wien und Prag 1938 schließlich in die USA. Er fühlte sich fremd in diesem Land, Kontakte zu anderen deutschen Emigranten, zur deutschen Kultur und Sprache waren ihm besonders wichtig.
1943 verfasste Oskar Maria Graf — aus Anlass des 10. Jahrestages der Bücherverbrennung — den folgenden Beitrag:
“Nie wieder vergessen!”
“Vor zehn Jahren, am 10. Mai, ließ das Hitler-Regime die Bücher der freiheitlichen Schriftsteller in ganz Deutschland öffentlich verbrennen. Auf dem mittelalterlichen Scheiterhaufen lagen aber nicht nur die Werke missliebiger, deutscher Autoren – die Bücher der Amerikaner Jack London und Upton Sinclair, jene der Tschechen Masaryk und Benesch, die des großen Österreichers Sigmund Freud, die Werke der Franzosen Romain Rolland und Malraux und alle Bücher der Russen von Gorki bis Ehrenburg, kurzum, das gesamte wahrhaft humanistische Schrifttum der Welt ging in Flammen auf!
Dieser 10. Mai – ewiges Schandmal nazistischer Barbarei! – müsste in Zukunft auf der ganzen gesitteten Welt in sein Gegenteil verwandelt werden, in einen Tag des Nie-wieder-Vergessens und in einen Tag der Manifestation für die Freiheit des Geistes! […]
Bücher sind Waffen im großen Befreiungskampf von heute! Bücher sind Pflugscharen für morgen! Kein Volk kann wünschen, dass sein freier, schöpferischer Geist durch Gewalt zum Absterben gezwungen wird!
Darum müssten […] alle Gegner politischer und geistiger Tyrannei, müssten alle jene, denen daran liegt, dass die besten Literaturwerke nicht untergehen, die Bücher ihrer emigrierten, verfemten Schriftsteller in der Ursprache kaufen und schenken!
Dies ist die Losung für heute: 10. Mai – Tag des freien Buches! […] Tag des Nie-wieder-Vergessens – Tag der Manifestation für die Freiheit des Geistes!“
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Hans Mayer, ein anderer Emigrant äußert sich anlässlich des 15. Jahrestages der Bücherverbrennung 1948:
Hans Mayer (1907 — 2001)
Im Juli 1933 schloss Hans Mayer in Berlin sein Jurastudium ab; wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er aber bereits wenige Tage später durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wieder aus dem Justizdienst entlassen. Er emigrierte über Belgien nach Frankreich und die Schweiz und beschäftigte sich dort nun zunehmend mit Fragen der Literaturwissenschaft. Nach Kriegsende kommt er zurück nach Deutschland, schreibt 1945 — 1947 für ein deutsch-amerikanisches Nachrichtenmagazin, begründet in Hessen die “Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)” mit, tritt keiner Partei bei, geht aber 1948 als überzeugter Sozialist in die DDR. In Leipzig bekommt Hans Mayer sofort eine Professur für Literaturwissenschaften; 1963 kehrt er zurück in die BRD.
1948 schreibt Hans Mayer anlässlich des 15. Jahrestages der Bücherverbrennung:
“Die deutsche Literatur und der Scheiterhaufen”
“Fragen wir ruhig, ob man diese Bücherverbrennung des 10. Mai 1933 nicht allzu wichtig nimmt.
Wir sollten heute misstrauisch sein gegen Gedenkfeiern, hinter denen nicht die wirkliche Beziehung zu Fragen unserer Gegenwartsliteratur sichtbar wird. Sehr häufig ersetzen Kulturbetrieb und pseudohistorisches Gepräge die geistige Bemühung um Forderungen des Tages.
Nun ist unleugbar, dass die Geschichte des Dritten Reiches im Vergleich zu jenem Feuerzauber der brennenden Bücher weit grauenvollere Rückfälle ins Barbarische, in die Inhumanität scheinbar überwundener Kulturstufen zu verzeichnen hat. Gegenüber Auschwitz und Majdanek und Oradour und Lidice, gegenüber Buchenwald und Dachau, gegenüber der Art, wie man die Leute des 20. Juli zu Tode brachte oder auch (auf anderem Gebiet) der Art, wie man die Geschichte vom „Jud Süß“ auf die Leinwand brachte, verblasst das Grauen, das damals, im Mai 1933, noch als Ahnung oder Vorahnung, die außerdeutsche Welt erfasste. Das war damals ein Schauspiel; ein geheimer Mangel an Ernsthaftigkeit war unverkennbar.
Die Art, wie man Bücher von Heinrich Mann und Ludwig Renn, von Jakob Wassermann und Erich Kästner, von Remarque oder Karl Marx oder Sigmund Freud auf den Holzstoß schleuderte, wirkte als Spektakel […] Es war ein Autodafé ohne praktische Wirksamkeit. Man verbrannte „nur“ die Bücher, nicht aber die Autoren.
Man war ihrer nicht habhaft geworden. Im Gegenteil, Erich Kästner hat sogar berichtet, wie er sich unter der Menge befand und zuschaute, als man den Schriftsteller Erich Kästner den Flammen übergab. Er blieb aber am Leben. Schließlich besaßen alle diese Autoren hohe Auflagen. Zusammengeraffte Bände aus öffentlichen Büchereien mochten da brennen; Tausende von derselben Auflage aber standen während der ganzen Dauer des Dritten Reiches sorgsam gehütet, und natürlich ängstlich versteckt, in den Bücherschränken im Lande. Nur wenn gelegentlich eine Haussuchung erfolgte, fand man die Bände, die dann als Belastungsmaterial für (den Volksgerichtshofpräsidenten) Roland Freisler dienen mochten.
Es ging also vergleichsweise glimpflich zu an jedem 10. Mai. Damals folterte man die wirklichen Schriftsteller, die man als Geiseln besaß, die Carl von Ossietzky und Erich Mühsam, noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Man folterte insgeheim und verbrannte öffentlich nur bedrucktes Papier. Abermals also: soll man die Erinnerung an diesen Tag wirklich immer von neuem aufwecken und wirken lassen?
Doch: man soll das tun. Die Propaganda des Joseph Goebbels verstand sich auf den Gebrauch der Symbole, und die Bücherverbrennung war ein Symbol […] Kaum ein anderes Ereignis aus der Geschichte des Dritten Reiches, besonders aus seinen Anfängen, ist gleichermaßen geeignet, das Wesen dieser Hitler-Herrschaft, nämlich den Rückfall in die Barbarei, deutlich zu machen. […] Der Begriff der Barbarei knüpft sich niemals an eine Haltung, die vorwärtsstrebt, sondern stets an den Prozess eines Zerfalls, eines ‚Rückfalls‘. […] Genau das aber wurde hinter der Bücherverbrennung sichtbar. Wir verbinden mit dem Anblick von Holzstoß und Autodafé die Vorstellung des “Hexenhammers”, der Hexenprozesse und der Inquisition […] Die katholische Welt des späten Mittelalters und der Gegenreformation bediente sich der Ketzerverbrennung, der Bücherverbrennung und des dazugehörigen „peinlichen Verhörs“ […] Allein seitdem hatte es die Aufklärung und den Rationalismus gegeben. Die großen Humanisten des 18. Jahrhunderts […]
Wenn das alles nun unter Hitler, Himmler und Goebbels neu aus den Schächten der Vergangenheit hervorgezerrt wurde, so erschien es als Instrument in einer geistig ganz anders entwickelten Gesellschaft und musste die Funktion neuer Barbarei einnehmen. Tatsache ist denn auch, dass nicht bloß die Bücherverbrennung in geschichtlicher Wiederholung auftrat, sondern das gesamte Zubehör der überwundenen Epoche: der Geist der Hexenprozesse in Justiz und geistigem Leben, die Inquisition als Grundgedanke eines Gesinnungsstrafrechts, die Folter und Marter als notwendige Begleiterscheinung. […] Wir erkennen also hinter der Bücherverbrennung des 10. Mai 1933 das Gesamtsystem aus Terror und Propaganda, Hexengeist, Folter und spektakulärer Schaustellung. Alles aber bleibt Wiederholung früherer Lebensformen in einer gewandelten Welt; alles dient dem Zweck der Verhinderung gesellschaftlicher Vorwärtsentwicklung: es ist Rückfall und bewusster Rückschritt in einem.
Weil man also in jenem Ereignis die gesamte Funktion des Dritten Reiches, und am Dritten Reich die Gesamtfunktion des Faschismus, sichtbar machen kann, ist es richtig, auch heute noch jener Zeremonie auf dem Berliner Opernplatz oder dem Frankfurter Römerberg zu gedenken. […] Wir müssen erkennen, dass hinter jener Bücherverbrennung eine wollüstige und gewollte Absage an alles stand, was damals, 1933, den Ausdruck fortschrittlichen Geistes und freiheitlicher Literatur bedeutete. […]
Doch vergessen wir es nie: Das Dritte Reich hat nicht bloß Bücher verbrannt. Es hat auch Ossietzky und Mühsam zu Tode gefoltert. Es hat Egon Friedell und Walter Hasenclever in den Freitod getrieben, Ernst Weiss und Walter Benjamin, Kurt Tucholsky und Stefan Zweig, und so viele andere. Unter der Herrschaft der Inhumanität ist Rudolf Olden auf dem Flüchtlingsschiff ertrunken, und Georg Hermann wurde in Auschwitz verbrannt. Adam Kuckhoff endete auf dem Schafott, Ernst Barlach ist in tiefer Einsamkeit und Herzensnot gestorben.
Mögen uns die Flammen, die damals Werke der deutschen Literatur verzehrten, heute als Warnung und Leuchtfeuer dienen. Damit wir den Weg zurück überblicken können; damit wir nicht abermals einen Rückweg antreten, sondern gemeinsam vorwärts schreiten.”
Und was heißt dieses “vorwärts schreiten”? Wie ist die Situation heute?
Im Laufe der Woche haben wir über aktuelle, massive Einschränkungen der Meinungs– und Pressefreiheit im Iran, Hongkong, Nepal, Myanmar, Pakistan und Afghanistan berichtet. Bei unserer Ankündigung zur Teilnahme an der diesjährigen „Woche der Meinungsfreiheit“ sind wir auf das jüngste Urteil gegen den russischen Regimekritiker Wladimir Kara-Mursa Bezug eingegangen und haben dabei die Stellungnahme von Jan Raczynski, Vorsitzender der (in Russland 2021 offiziell aufgelösten) Menschenrechtsorganisation “Memorial” hervorgehoben..
Raczynski sagte kürzlich im Interview nach dem Urteil gegen Kara-Mursa:
„Alle oppositionellen Politiker sind des Landes verbannt, sitzen im Gefängnis oder haben überhaupt keine Möglichkeit, die Gesellschaft anzusprechen. Das macht die Situation sehr schwierig.“
Jan Raczynsky wurde 2022 mit der NGO Memorial zum Friedensnobelpreisträger ernannt.
Schließen will ich unsere Beiträge zur diesjährigen „Woche der Meinungsfreiheit“ mit einer weiteren eindrucksvollen Stimme gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit: mit Swetlana Alexijewitsch. 2015 erhielt sie in Stockholm den “Nobelpreis für Literatur” und 2013 in Frankfurt den “Friedenspreis des Deutschen Buchhandels”. Als man sie fragte, was sie mit dem Preisgeld (25.000.- €) plane, sagte sie, sie wolle eine größere Anzahl ihrer eigenen Bücher kaufen, um sie an die Menschen in ihrem Heimatland kostenlos zu verteilen. Ihre Bücher dürfen in Belarus nicht veröffentlicht und auch nicht verkauft werden.
Nach der unrechtmäßigen Präsidentschaftswahl in Belarus 2020 rief sie den regierenden Aljaksandr Lukaschenka dazu auf, zurückzutreten und das Land zu verlassen. Während der damaligen Proteste in Belarus trat sie dem Koordinierungsrat der Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja bei. Etliche Mitglieder dieses Führungskreises der Protestbewegung wurden festgenommen. Die Brohungslage wurde auch für sie immer greifbarer. Europäische Diplomaten versuchten Swetlana Alexijewitsch Schutz zu geben. Seit Ende 2020 lebt sie nun aber in Deutschland und engagiert sich von hier aus weiterhin literarisch und politisch.
Sie sagt, sie habe in Belarus nichts anderes getan als das, wofür sie 2013 mit dem “Friedenspreis des Deutschen Buchhandels” ausgezeichnet worden sei: “die Wahrheit auszusprechen und ihre Stimme all jenen zu leihen, die sich auflehnen gegen Erniedrigung.”
Auch zum heutigen Krieg Russlands gegen die Ukraine nimmt sie immer wieder Stellung. Ihre Grundhaltung dazu ist: „Dies ist wichtig für die Demokratie in der Ukraine und auch in Belarus — die Ukraine sollte aus diesem Konflikt als Sieger hervorgehen.“
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