Das Neue Nepal: Naya Nepal

Alina Saba ist eine indi­gene Akti­vis­tin aus Nepal. Sie setzt sich für die Rechte indi­ge­ner Völ­ker, Kli­ma­ge­rech­tig­keit und wirt­schaft­li­che Gerech­tig­keit ein, u.a. auch bei der UNO.

Ein Bei­trag von Alina Saba und Gabriele Köhler

Mitarbeiterin des Forschungsinstitut der Vereinten Nationen für soziale Entwicklung (UNRSD) und jahrelang Beraterin des UNICEF-Regionalbüros für Südasien in Kathmandu.
Bei­rä­tin des For­schungs­in­sti­tut der Ver­ein­ten Natio­nen für soziale Ent­wick­lung (UNRSD) und jah­re­lang Bera­te­rin des UNICEF-Regionalbüros für Süd­asien in Kathmandu.

Hin­ter­grund

In Deutsch­land, wie auf unse­rem gan­zen Pla­ne­ten, steht an, die Men­schen­rechte für alle durch­zu­set­zen und wirt­schaft­li­che, soziale und öko­lo­gi­sche Gerech­tig­keit vor­an­zu­trei­ben. Die Ver­ein­ten Natio­nen umschrei­ben dies als die Suche nach einem neuen, men­schen­rechts­ba­sier­ten, öko­so­zia­len Gesell­schafts­ver­trag (Gut­er­res 2021; UNRISD 2022). Um ihn zu errei­chen, ist die Zivil­ge­sell­schaft der viel­leicht ent­schei­dende „Player“.

Im Rah­men von inter­na­tio­na­len ver­glei­chen­den Stu­dien zu gesell­schafts­po­li­ti­schem Fort­schritt ist es daher erhel­lend, sich Län­der anzu­schauen, die mit Druck aus der jewei­li­gen Zivil­ge­sell­schaft neue Wege der Trans­for­ma­tion gehen. Ein sol­ches Bei­spiel ist gerade auch Nepal.

Blick auf die Haupt­stadt Kath­mandu (1,4 Mio E), gele­gen in einem Tal inmit­ten des Himalaya.

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Naya Nepal – und das Rin­gen um eine gerechte Verfassung

Wenn es um öko­so­ziale Gerech­tig­keit geht, hat Nepal beson­ders schwie­rige Aus­gangs­be­din­gun­gen. Zwar atem­be­rau­bend im Hima­laya gele­gen, ist es doch öko­no­misch arm und öko­lo­gisch bedroht.

Nepa­le­si­sches Berg­dorf mit Blick auf den Anna­purna, einem der höchs­ten Berge der Erde.

Patri­ar­cha­li­sche und klas­sis­ti­sche Eli­ten und Regie­run­gen und eine des­po­ti­sche Mon­ar­chie, die repres­sive hin­du­is­ti­sche Staats­re­li­gion und das men­schen­rechts­ver­ach­tende Kas­ten­sys­tem haben über Jahr­hun­derte hin­weg soziale Dis­kri­mi­nie­rung, poli­ti­sche Unter­drü­ckung und wirt­schaft­li­che Unge­rech­tig­kei­ten zemen­tiert (Kha­ti­wada and Koeh­ler 2014). Die Covid-19-Pandemie hat Nepal zudem stark getrof­fen, als die Regie­rung mit dra­ko­ni­schen Maß­nah­men auf die Krise rea­gierte und die gesell­schaft­li­chen Spal­tun­gen wei­ter verschärfte.

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Poli­ti­sche Reformen

Nepal erlebte von 1995 — 2005 einen Bür­ger­krieg, bei dem 15.000 Men­schen ihr Leben ver­lo­ren. Nach Ende des Bür­ger­kriegs wurde schwer gerun­gen, das Land in eine föderal-dezentrale, säku­lare und sozial gerechte Repu­blik umzubauen.

Nepa­le­si­sche Sol­da­ten mar­schie­ren in den Stra­ßen der Haupt­stadt Kat­mandu, ca. 2000

Die poli­ti­sche For­de­rung nach einem Naya Nepal – einem neuen Nepal – war aus den Bewe­gun­gen der indi­ge­nen Gemein­schaf­ten, die rund ein Drit­tel der Bevöl­ke­rung aus­ma­chen — den Madhesi-Gemeinden — sowie aus den For­de­run­gen lin­ker und radikal-linker Par­teien ent­stan­den. Sie alle for­der­ten, das jahr­hun­der­te­alte Kas­ten­sys­tem und regio­nale Dis­kri­mi­nie­run­gen zu been­den (Hach­he­thu 2014), Boden­re­for­men umzu­set­zen oder auch die Ver­wal­tungs­be­zirke in neue Pro­vin­zen umzu­or­ga­ni­sie­ren, die den eth­ni­schen Grup­pen in etwa ent­spre­chen. Dem­ent­spre­chend war der Ver­fas­sungs­pro­zess gekenn­zeich­net durch hef­tige par­la­men­ta­ri­sche Debat­ten, zahl­rei­che Koali­ti­ons­um­bil­dun­gen und gewalt­tä­tige Konflikte. 

2007 wurde eine Inte­rims­ver­fas­sung ver­ab­schie­det. Soziale Gerech­tig­keit wurde zum ers­ten Mal in der Geschichte des Lan­des als Recht­s­prin­zip ver­an­kert. Die Ver­fas­sung beschloss die pro­por­tio­nale Ver­tre­tung von Frauen, von mar­gi­na­li­sier­ten Grup­pen wie der aus­ge­grenz­ten Kaste der Dalits, indi­ge­nen Gemein­schaf­ten und den Madhesi-Gruppen sowie von ein­kom­mens­ar­men Bau­ern und Arbei­tern. Nepal ist eines der ers­ten Län­der welt­weit, das LGBTQI-Rechte und nicht-binäre Geschlech­te­ri­den­ti­tät anerkennt. 

Aller­dings kri­ti­sier­ten tra­di­tio­nelle patri­ar­cha­li­sche poli­ti­sche Par­teien der domi­nan­ten Kas­ten sowie Teile der Medien, der Büro­kra­tie und der Jus­tiz die For­de­rung nach Inklu­sion als „eine externe Agenda, die die nepa­le­si­sche Sou­ve­rä­ni­tät schwächt und natio­nal spal­tet“ (Saba 2018; Thapa und Rams­bo­t­ham 2017:7). Bei den Wah­len zur ver­fas­sungs­ge­ben­den Ver­samm­lung 2013 war daher die über­wun­den geglaubte hin­du­is­ti­sche Ideo­lo­gie wie­der­er­starkt. Ultra­na­tio­na­lis­mus und popu­lis­ti­sche Wohl­stands­rhe­to­rik domi­nier­ten die poli­ti­schen Nar­ra­tive (Lama 2020: 16) und pola­ri­sier­ten die nepa­le­si­sche Gesell­schaft erneut.

Pro­kla­ma­tion der neuen Ver­fas­sung, 2015.

Den­noch konnte 2015 die neue Ver­fas­sung ver­kün­det wer­den. Wäh­rend dies in der Haupt­stadt Kath­mandu gefei­ert wurde, bra­chen im Süden des Lan­des gewalt­tä­tige Pro­teste aus, bei denen 40 Men­schen umka­men. Die Ver­fas­sung von 2015 schuf ein drei­stu­fi­ges Regie­rungs­sys­tem mit Bundes-, Pro­vinz– und Kom­mu­nal­ver­wal­tun­gen und teilte das Land nun in sie­ben Pro­vin­zen, um die poli­ti­sche und admi­nis­tra­tive Ver­tre­tung der ver­schie­de­nen eth­ni­schen Grup­pen bes­ser abzu­bil­den. Sie ent­hält Ver­ein­ba­run­gen zu den Rech­ten von Frauen, den Madhesi, den Rech­ten von Dalits und indi­ge­nen Grup­pen,  mit  einer Natio­na­len Inklu­si­ons­kom­mis­sion und  Kom­mis­sio­nen zur Ver­tre­tung der Rechte und Inter­es­sen von Frauen. Aller­dings wur­den diese Kom­mis­sio­nen bis­lang nicht besetzt.

Das pro­por­tio­nale Wahl­sys­tem aus der 2007er Über­gangs­ver­fas­sung wurde bei­be­hal­ten, mit Quo­ten für Frauen, Dalits und indi­gene Gemein­schaf­ten. Auf loka­ler Ebene müs­sen nun min­des­tens zwei der vier Gemein­de­rats­mit­glie­der Frauen sein, eine davon aus der Dalit-Kaste (Saba 2018).

Im Ver­gleich zu der pro­gres­si­ven Inte­rims­ver­fas­sung von 2007 gab es in der neuen Ver­fas­sung jedoch auch Rück­schläge. So war es der domi­nan­ten, hin­du­is­ti­schen Ober­schicht­kaste der Khas Arya gelun­gen, sich als mar­gi­na­li­sierte Gruppe mit Anrecht auf För­der­maß­nah­men, wie z.B. den poli­ti­schen Quo­ten, zu defi­nie­ren (Hach­he­thu 2017:59). Dies kon­ter­ka­rierte das Ver­spre­chen, his­to­ri­sche Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund von Kaste, Klasse und Reli­gion anzu­ge­hen und die wirt­schaft­li­che, soziale und poli­ti­sche Dis­kri­mi­nie­rung der Dalits, Mus­lime, Madhesi und indi­ge­ner Gemein­schaf­ten zu über­win­den (Jha 2017:66).

Demons­tra­tion der Madhesi in Kath­mandu gegen staat­li­che Gewalt, für Föde­ra­lis­mus und eine gerech­tere staat­li­che Ver­tre­tung, Juli 2016

Die Wahl­er­geb­nisse in den Fol­ge­jah­ren waren gemischt. Bei den Kom­mu­nal­wah­len 2017 z. B. stieg die Zahl der Frauen, ins­be­son­dere der Dalit-Frauen, in Füh­rungs­po­si­tio­nen deut­lich an. Die Ver­tre­tung in den höchs­ten öffent­li­chen Ämtern wie Bür­ger­meis­ter­amt bzw. Gemein­de­vor­sit­zende blie­ben jedoch mehr­heit­lich männ­lich besetzt: Von 753 gewähl­ten Vor­sit­zen­den und Bür­ger­meis­tern waren nur 18 – oder 2,4 Pro­zent – Frauen, und das oft in Stell­ver­tre­ter– und unter­ge­ord­ne­ten Posi­tio­nen. Bei den Kom­mu­nal­wah­len 2022 wur­den dann 25 Frauen zu Bür­ger­meis­te­rin­nen oder Kommunen-Vorsitzenden gewählt, eine Zunahme, die auf die erstark­ten Füh­rungs­ka­pa­zi­tä­ten von weib­li­chen poli­ti­schen Füh­rern hindeutet.

Demons­tra­tion von Dalit-Frauen vor Kom­mu­nal­wah­len, 2017

Ande­rer­seits ist auf Bun­des­ebene die Gesamt­zahl der gewähl­ten weib­li­chen Par­la­men­ta­rie­rin­nen von 779 im Jahr 2017 auf 656 im Jahr 2022 zurück­ge­gan­gen (Krishna Gya­wali 2022). Die­ser Rück­gang in der Reprä­sen­ta­tion von Frauen wurde auf die Dyna­mik inner­halb der poli­ti­schen Par­teien und den insta­bi­len poli­ti­schen Kon­text zurück­ge­führt (The Record 2022). Eine wei­tere Erklä­rung wäre, dass Frauen ange­sichts des Zeit– und Res­sour­cen­drucks wäh­rend der Covid-19-Pandemie und des lan­des­wei­ten Lock­downs sich mög­li­cher­weise gezwun­gen sahen, sich aus ihren poli­ti­schen Enga­ge­ments und Akti­vi­tä­ten zurückzuziehen.

Die Mehr­heit der gewähl­ten Frauen in den höchs­ten Ent­schei­dungs­po­si­tio­nen sind nun Khas Arya-Frauen. Die Ver­tre­tung von Dalit-Frauen auf der Kom­mu­nal­ebene wurde nur dank der aus­drück­li­chen Dalit-Quote in der Ver­fas­sung erreicht, wäh­rend die Ver­tre­tung von Frauen ande­rer mar­gi­na­li­sier­ter Grup­pen – Indi­gene, Madhesi oder Mus­lime – wei­ter­hin nomi­nell bleibt. Tat­säch­lich bemü­hen sich indi­gene Frauen nun um die for­melle Aner­ken­nung von „indi­ge­nen Frauen“ als eigen­stän­dige Kate­go­rie in der Ver­fas­sung. Außer­dem setzte sich die Vor­herr­schaft der patri­ar­cha­li­schen Eli­te­par­teien auf Bun­des­ebene dank macht­do­mi­nier­ter Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen wie­der durch.

Diese Trends zei­gen, dass genuin-inklusive Poli­tik schwie­rig umzu­set­zen ist, selbst wenn sie aus­drück­lich gesetz­lich vor­ge­schrie­ben ist.

Öko­lo­gi­sche Reformen

Namdu Dol­akha, 1989 und (re.) 2010
Ein Bei­spiel des Com­mu­nity Fore­stry Movement

Öko­lo­gi­sche Refor­men haben in Nepal eine lange Geschichte. Das Land ist seit den 1990er Jah­ren Ver­trags­par­tei des UN-Übereinkommens über die bio­lo­gi­sche Viel­falt (CBD). Dar­über hin­aus ent­stand in den 1990er Jah­ren das Com­mu­nity Fore­stry Move­ment. Die Gemeinschafts-Forstwirtschaft hat zum Auf­bau des länd­li­chen und sozia­len Zusam­men­halts beige­tra­gen, indem sie phy­si­sche und soziale Infra­struk­tur in ihren ver­schie­de­nen For­men geschaf­fen hat. 1,6 Mil­lio­nen Haus­halte bewirt­schaf­ten heute zusam­men 16 Pro­zent der gesam­ten Wald­flä­che Nepals (Pok­ha­rel 2020). Dies trägt maß­geb­lich zur Umset­zung des Pari­ser Kli­ma­ab­kom­mens und der natio­na­len Bei­träge (NDCs) zur Redu­zie­rung der Treib­haus­gas­emis­sio­nen bei.

2007 hat Nepal, als bis­her ein­zi­ges süd­asia­ti­sches Land, das Über­ein­kom­men über indi­gene und in Stäm­men lebende Völ­ker (ILO-Konvention 169) ver­ab­schie­det, und war Ori­gi­nal­un­ter­zeich­ner der UN-Deklaration der Rechte indi­ge­ner Völ­ker (UNDRIP). Dies bedeu­tet die Aner­ken­nung des kol­lek­ti­ven und tra­di­tio­nel­len Eigen­tums an Land der indi­ge­nen Gemein­schaf­ten, den Schutz und die För­de­rung von mate­ri­el­lem und imma­te­ri­el­lem Wis­sen und Erbe in Bezug auf die Natur sowie das Recht auf ange­mes­sene Infor­ma­tio­nen und Zugang zur Ent­schei­dungs­fin­dung in Bezug auf Res­sour­cen und Vor­teils­aus­gleich (NEFIN 2020). Ent­wick­lungs– und Kli­ma­schutz­pro­jekte – ein­schließ­lich kom­mu­na­ler Forst­wirt­schafts­pro­gramme – müs­sen dem Recht­s­prin­zip der freien, vor­he­ri­gen und infor­mier­ten Zustim­mung (FPIC) entsprechen.

Aller­dings kri­ti­sie­ren indi­gene Akti­vis­tIn­nen, dass lokale indi­gene Gemein­schaf­ten bis­lang von der Ent­schei­dungs­fin­dung und gerech­ten Res­sour­cen­ver­tei­lung aus­ge­schlos­sen wer­den (NEFIN 2016).

Die Ver­fas­sung von 2015 bezieht sich auch auf das Recht der Bür­ge­rIn­nen auf eine sau­bere und gesunde Umwelt und auf Ent­schä­di­gung für Schä­den, die durch Umwelt­ver­schmut­zung oder –zer­stö­rung ver­ur­sacht wer­den. Sie nimmt aus­drück­lich Bezug auf erneu­er­bare Ener­gien und garan­tiert die gerechte Ver­tei­lung der Erlöse aus natür­li­chen Res­sour­cen, wobei loka­len indi­ge­nen Gemein­schaf­ten Vor­zugs­rechte gewährt wer­den sollen.

Die Rolle rechts­ba­sier­ter zivil­ge­sell­schaft­li­cher Bewe­gun­gen bei der Mit­ge­stal­tung eines öko­so­zia­len Vertrags

Dalit Stu­den­tin­nen im Distrikt Bajhang im Nord­wes­ten von Nepal, 2020

Trotz Rück­schlä­gen, Ver­wäs­se­run­gen und Hin­der­nis­sen bei der Umset­zung las­sen sich die neue­ren poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen Nepals als Ansätze zu einem neuen öko­so­zia­len Ver­trag (Sunam und Shres­tha 2019) ver­ste­hen. Dies ist in ers­ter Linie auf die Beharr­lich­keit – teils fried­lich, teils mit

Gewalt – von mar­gi­na­li­sier­ten Gemein­schaf­ten, Iden­ti­täts­grup­pen und der Zivil­ge­sell­schaft zurück­zu­füh­ren. Die von Dalits ange­führ­ten Bewe­gun­gen für soziale Gerech­tig­keit, die von Madhesi-Gemeinschaften ange­führ­ten poli­ti­schen Bewe­gun­gen für eine föde­rale Umstruk­tu­rie­rung und die von den indi­ge­nen Gemein­schaf­ten ange­führ­ten öko­lo­gi­schen und poli­ti­schen Bewe­gun­gen machen Druck auf die Poli­tik­ge­stal­tung und for­dern die Eli­ten des Lan­des heraus.

Bei­spiels­weise begann 2020 ein lan­des­wei­tes unab­hän­gi­ges #Dali­t­Rights­Mo­ve­ment in Nepal, um gegen die Ermor­dung eines Dalit-Teenagers, Nava­raj BK, und fünf sei­ner Freunde wegen einer Ehe zwi­schen ver­schie­de­nen Kas­ten zu pro­tes­tie­ren. Die soziale Bewe­gung, die aus die­ser grau­sa­men Men­schen­rechts­ver­let­zung her­vor­ge­gan­gen ist, setzt sich wei­ter­hin gegen die Straf­lo­sig­keit, Ver­fol­gung und Ermor­dung von Dalits im gan­zen Land ein und genießt breite Unterstützung.

Nava­raj BK wurde zusam­men mit fünf Freun­den ermor­det, da er eine junge Frau aus einer soge­nann­ten höhe­ren Kaste gehei­ra­tet hatte.  

Die Natio­nal Indi­ge­nous Women’s Fede­ra­tion (NIWF) und das Natio­nal Indi­ge­nous Women’s Forum (NIWF-Forum) set­zen sich für die sozia­len, kul­tu­rel­len, poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Rechte indi­ge­ner Frauen und die Umset­zung eines inter­sek­tio­nel­len Femi­nis­mus ein. 2018 reichte eine Platt­form indi­ge­ner Frau­en­or­ga­ni­sa­tio­nen beim UN-Komitee zur Besei­ti­gung jeder Form von Dis­kri­mi­nie­rung der Frau einen Schat­ten­be­richt ein, in dem der Staat auf­ge­for­dert wurde, indi­gene Frauen und indi­gene Frauen mit Behin­de­run­gen als eigen­stän­dige juris­ti­sche Per­so­nen anzu­er­ken­nen (CEDAW 2018). Dar­auf­hin gab es 15 Emp­feh­lun­gen an die nepa­le­si­sche Regie­rung. Die Aner­ken­nung der indi­ge­nen Frau­en­be­we­gung von Nepal durch CEDAW gilt als his­to­ri­scher Erfolg in der inter­na­tio­na­len Menschenrechtsarena.

Die Nepal Fede­ra­tion of Indi­ge­nous Natio­na­li­ties (NEFIN), eine Dach­or­ga­ni­sa­tion von 59 indi­ge­nen Grup­pen, spielte eine Schlüs­sel­rolle wäh­rend der Volks­be­we­gung von 2006 und wäh­rend der Ver­fas­sungs­pro­zesse von 2007 bis 2015. Sie half bei der Ver­an­ke­rung der Rechte indi­ge­ner Gemein­schaf­ten und stellte sicher, dass die nepa­le­si­sche Regie­rung inter­na­tio­nale Ver­träge wie UNDRIP und das ILO-Übereinkommen 169 ratifizierte.

Indi­gene Frau­en­gruppe (Majhi) aus dem Rame­chap Distrikt mit dem Trans­pa­rent “Der Fluss ist unser Leben”, am Welt­tag der Indi­ge­nen’, 2019

Jüngst haben indi­gene Gemein­schaf­ten erfolg­reich gegen neo­li­be­rale Ent­wick­lungs­pro­jekte im Was­ser­kraft­sek­tor gekämpft, die von Bundes-, Pro­vinz– und Kom­mu­nal­re­gie­run­gen mit Ent­wick­lungs­ban­ken aggres­siv umge­setzt wer­den soll­ten (Bhat­ta­chan 2019: 369). 2021 konn­ten sie z.B. einen Sieg gegen die Euro­päi­sche Inves­ti­ti­ons­bank wegen Ver­let­zung ihrer FPIC-Rechte errin­gen (IWGIA).

Trotz die­ser Erfolge kämpft die Zivil­ge­sell­schaft in Nepal mit gra­vie­ren­den Ein­schrän­kun­gen der Men­schen­rechte, der Mei­nungs– und der Pres­se­frei­heit. Der UN-Menschenrechtsrat hat 2021 kri­ti­siert, dass die Regie­rung die Auto­no­mie der Men­schen­rechts­kom­mis­sion aushöhle.

Presse– und Mei­nungs­frei­heit in Nepal

Das Land hat erheb­li­che Pro­bleme mit  der Pres­se­frei­heit und steht auf Platz 76 von 180 auf der Rang­liste von Repor­tern ohne Gren­zen. Die poli­ti­sche NGO Civi­cus berich­tet, dass allein 2022 120 Jour­na­lis­tIn­nen erheb­lich bei ihrer Arbeit „behin­dert“ wur­den. „… Jour­na­lis­ten, die über Kor­rup­tion oder poli­ti­sche Demons­tra­tio­nen berich­ten, müs­sen mit Todes­dro­hun­gen und mit Gewalt von Sicher­heits­kräf­ten und Schlä­gern rech­nen, die vom Staat oder poli­ti­schen Par­teien beauf­tragt wer­den. Die meis­ten Ver­bre­chen wer­den nicht ver­folgt, es herrscht ein Klima der Straf­frei­heit. Schwam­mige For­mu­lie­run­gen in den Geset­zen geben Jour­na­lis­ten kei­nen aus­rei­chen­den Schutz, so dass die Behör­den viel Spiel­raum haben, wenn sie kri­ti­sche Medi­en­ver­tre­ter zum Schwei­gen brin­gen wol­len. Die Regie­rung ist im Besitz des ein­fluss­rei­chen Rund­funks sowie meh­re­rer Tages­zei­tun­gen,“ schreibt “Report ohne Grenzen.”

Aus­blick: Die zen­trale Rolle der Zivil­ge­sell­schaft im Rin­gen um ein „Naya Nepal“

Wie könnte es wei­ter­ge­hen? Was wäre nötig? Was muss sich ändern?

•             Auf Regie­rungs­ebene muss die föde­rale Reform ver­tieft und gestärkt wer­den. Das Quo­ten­sys­tem müsste in wei­te­ren Insti­tu­tio­nen ein­ge­führt wer­den, in den Par­teien und im Par­la­ment, auf den ver­schie­de­nen Ver­wal­tungs­ebe­nen, in der Wahl­be­hörde und auch in Lei­tungs­ebe­nen der grö­ße­ren Unternehmen.

•             Dabei wäre es wich­tig, die Quo­ten zu spe­zi­fi­zie­ren und inter­sek­tio­nal her­un­ter­zu­bre­chen mit kon­kre­ten Anga­ben zu Gen­der und eth­ni­scher Iden­ti­tät und ande­ren Kri­te­rien, wie bei­spiels­weise Behin­de­rung (de Schut­ter 2017).

•             Spe­zi­ell für junge Men­schen müsste es mehr Anreize geben, sich in poli­ti­schen Par­teien zu enga­gie­ren und Füh­rungs­po­si­tio­nen zu über­neh­men, mög­li­cher­weise auch über ein Quotensystem.

•             Für die Umset­zung der Rechte indi­ge­ner Gemein­schaf­ten müs­sen mul­ti­la­te­rale Abkom­men wie das UNDRIP und ILO-Konvention 169 kon­se­quent umge­setzt wer­den. Beson­ders wich­tig ist dabei der Grund­satz der freien, vor­he­ri­gen und infor­mier­ten Zustim­mung (FPIC) bei Pro­jek­ten in Gemein­den und Regionen.

•             Zen­tral wäre die Absi­che­rung der Presse– und Medi­en­frei­heit; sie ist eine Vor­aus­set­zung für jedes zivil­ge­sell­schaft­li­che Engagement.

•             All­ge­mei­ner gefasst, müs­sen Nor­men und Ideale trans­for­miert wer­den. Mar­gi­na­li­sierte und aus­ge­grenzte Gemein­schaf­ten und Ein­zel­per­so­nen haben das Recht auf Aner­ken­nung, Respekt und Ver­tre­tung ihrer Inter­es­sen, und es muss Zugang zu Recht und Wie­der­gut­ma­chung für Ver­let­zun­gen ihrer Rechte geben (Koeh­ler and Namala 2020). Die Emp­feh­lun­gen aus dem Men­schen­rechts­rat könn­ten dabei unter­stüt­zend wirken.

•             Und dazu muss die Auto­no­mie der pro­gres­si­ven Zivil­ge­sell­schaft erhal­ten blei­ben. Für mehr Schlag­kraft könn­ten dabei inter­sek­tio­nale, the­men­über­grei­fende Koali­tio­nen der ver­schie­de­nen Iden­ti­täts– und Inter­es­sen­grup­pen Nepals hilf­reich sein.

Es muss zugleich ver­mie­den wer­den, dass die Ver­fas­sung, die rati­fi­zier­ten mul­ti­la­te­ra­len Abkom­men und Ver­träge oder z.B. auch die Quo­ten­re­ge­lun­gen nur Lip­pen­be­kennt­nisse blei­ben: d.h. dass demo­kra­ti­sche Reprä­sen­ta­tion nur vor­ge­täuscht wird, wäh­rend in Wirk­lich­keit die alten Macht­struk­tu­ren die Ober­hand behalten.

Um die Trans­for­ma­tio­nen zu einem Naya Nepal mit einem neuen, men­schen­rechts­ba­sier­ten, öko­so­zia­len Gesell­schafts­ver­trag vor­an­zu­trei­ben, ist die Zivil­ge­sell­schaft aus­schlag­ge­bend – um Druck auf Regie­rung und Gesetz­ge­bung aus­zu­üben, For­de­run­gen auf­zu­stel­len und zu rekla­mie­ren, Kla­gen zu füh­ren und die Umset­zung von Maß­nah­men zu kon­trol­lie­ren. Wie es eine bekannte Juris­tin aus dem süd­asia­ti­schen Raum for­mu­liert hat: „Legis­la­tive chan­ges come off the back of move­ment“ (Nundy 2021).

Die­ser Bei­trag basiert auf dem Arti­kel von Alina Saba and Gabriele Koeh­ler: UNRISD Issues Brief Num­ber 13. August 2022. Towards an Eco-Social Con­tract in Nepal. THE ROLE OF RIGHTS-BASED CIVIL SOCIETY ACTIVISM.

Biblio­gra­phie zu die­sem Beitrag

 

 

Publikation des United Nations Research Institute for Social Development (UNRISD) 2022
Publi­ka­tion des United Nati­ons Rese­arch Insti­tute for Social Deve­lop­ment (UNRISD) 2022

 

 

Nepalesische Frauen beim Reisanbau, 2008
Nepa­le­si­sche Frauen beim Reis­an­bau, 2008

 

Arme Bäuerinnen (Madhesi) mit Kindern in Terai,eine Tieflandregion in Südnepal.
Arme Bäue­rin­nen (Madhesi) mit Kin­dern in Terai,eine Tief­land­re­gion in Südnepal.

 

Die Föderalismusdebatte in Nepal, hrsg von United Nations Development Programme (UNDP) - Support to Participatory Constitution Building in Nepal, 2014
Die Föde­ra­lis­mus­de­batte in Nepal, hrsg von United Nati­ons Deve­lop­ment Pro­gramme (UNDP) — Sup­port to Par­ti­ci­patory Con­sti­tu­tion Buil­ding in Nepal, 2014

 

 

 

 

 

Das Gebäude des Bundesparlamentes in Kathmandu.
Das Gebäude des Bun­des­par­la­men­tes in Kathmandu.

 

Bewaffnete Polizeikräfte» versuchen den Protest gegen die neue Verfassung zu ersticken, 2015
Bewaff­nete Poli­zei­kräfte» ver­su­chen den Pro­test gegen die neue Ver­fas­sung zu ersticken2015

 

Sie stehen an, um bei der ersten Kommunalwahl seit 20 Jahren ihre Stimme abzugeben, 2017.
Sie ste­hen an, um bei der ers­ten Kom­mu­nal­wahl seit 20 Jah­ren ihre Stimme abzu­ge­ben, 2017.

 

Ethnische Verteilung im 2017 neu gewählten Parlament.
Aus: Aus: The Record Nepal, März 2018
Eth­ni­sche Ver­tei­lung im 2017 neu gewähl­ten Par­la­ment.
Aus: The Record Nepal, März 2018

 

Geschlechterverteilung im 2017 neu gewählten Parlament.
Aus: Aus: The Record Nepal, März 2018
Geschlech­ter­ver­tei­lung im 2017 neu gewähl­ten Par­la­ment.
Aus:The Record Nepal, März 2018

 

Die gemeinschaftliche Forstwirtschaft fördert Holz, Nahrungsmittel und Futtermittel gemeinsam.
Die gemein­schaft­li­che Forst­wirt­schaft för­dert Holz, Nah­rungs­mit­tel und Fut­ter­mit­tel gemeinsam.

 

Versammlung von Mitgliedern des Community Forestry Movements.
Ver­samm­lung von Mit­glie­dern des Com­mu­nity Fore­stry Movements.

 

Stand der inklusiven Regierungsform, hrsg. vom Department für Anthropologie, Tribhuvan Univerity, Kathmandu, 2018
Stand der inklu­si­ven Regie­rungs­form, hrsg. vom Depart­ment für Anthro­po­lo­gie, Trib­hu­van Uni­ve­rity, Kath­mandu, 2018

 

 

Demonstration wegen Vergewaltigungen von Dalitfrauen: Black lives matter but Dalit lives don`t Juli 2020?
Demons­tra­tion wegen Ver­ge­wal­ti­gun­gen von Dalit­frauen: Black lives mat­ter but Dalit lives don‘t Juli 2020?

 

 

 

 

 

 

Der 3. Mai ist der internationale Tag der Pressefreiheit und so auch der Beginn der "Woche der Meinungsfreiheit".
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In Nepal müssen Journalisten, die über Korruption oder politische Demonstrationen berichten, mit Todesdrohungen und mit Gewalt von Sicherheitskräften und Schlägern rechnen, die vom Staat oder politischen Parteien beauftragt wurden. Die meisten Verbrechen werden nicht verfolgt, es herrscht ein Klima der Straffreiheit. Schwammige Formulierungen in den Gesetzen geben Journalisten keinen ausreichenden Schutz, so dass die Behörden viel Spielraum haben, wenn sie kritische Medienvertreter zum Schweigen bringen wollen.
Repor­ter ohne Gren­zen in sei­nem Jah­res­be­richt 2022.

 

 

 

 

 

 

 

Alina Saba and Gabriele Koeh­ler. UNRISD Issues Brief Num­ber 13. August 2022. Towards an Eco-Social Con­tract in Nepal.
Alina Saba and Gabriele Koeh­ler. UNRISD Issues Brief Num­ber 13. August 2022. Towards an Eco-Social Con­tract in Nepal.