Aus dem Blick: Zur Lage der Meinungsfreiheit in Belarus
Im Sommer und im Herbst 2020 war Belarus in westlichen Medien präsent. Massenweise Proteste hatte es nach der gefälschten Wahl vom August des Jahres gegeben. Besonders drei Frauen Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolenikowa und Veronika Zepkalo waren die Gesichter der Demonstrant*innen. Weiß-Rot war die Farbe des Protests und allein das Tragen von Kleidungsstücken in diesen Farben konnte zur Verhaftung führen. 35.000 Personen wurden seit Mai 2020 aus politischen Gründen festgenommen, es wurden 4.600 Verfahren eingeleitet, und es gibt inzwischen mehr als 1.000 politische Gefangene. Ab dem Sommer 2021 gab es eine Verbotswelle, auch für viele Nichtregierungs– und Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften, kulturelle und ökologische Projekte wie auch die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung. Sie alle wurden ohne Gerichtsverfahren verboten. Am 9. August traf es das belarussische PEN-Zentrum, am 27. August die Journalistenvereinigung BAJ und am 30. September das belarussische Helsinki-Komitee.
Hausdurchsuchungen und Festnahmen sind an der Tagesordnung. 2021 waren 32 Journalist*innen im Gefängnis, im Jahr zuvor waren es sieben. Und da war Belarus auch keine Demokratie. In Belarus sind mehr Journalistinnen (17) als Journalisten (15) in Haft, das Land liegt im Pressefreiheitsranking auf Platz 158 von 189 Plätzen.
Trotz alledem waren die Ereignisse in Belarus schon weitgehend aus den deutschen Medien verschwunden, nachdem der Machthaber Lukaschenko mit Hilfe des russischen Präsidenten Putin die Protestbewegung niedergeschlagen hatte. Über Belarus wurde im Herbst 2021 sogar versucht, die Europäische Union zu destabilisieren, indem Flüchtlinge aus dem Nahen Osten nach Minsk geflogen und an die belarussisch-polnische Grenze gebracht wurden. Die strikte Abschottung Polens erscheint heute, nachdem Hunderttausende über die ukrainisch-polnische Grenze in die EU geflohen sind, wie aus einer anderen Welt.
Inzwischen überlagert aber der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Geschehnisse im Nachbarland Belarus. Lukaschenko ist ein Ausführungsgehilfe Putins, und dieser lässt sein Militär auch über dieses Land in Richtung Ukraine aufmarschieren. Belarus ist Kriegspartei von Russland. Viele Bürger*innen aus Belarus fliehen nun ins Ausland, um nicht zum Militärdienst eingezogen zu werden. Der Widerstand innerhalb der Bevölkerung ist immer noch da, wenn auch nicht mehr so offen wie im Sommer 2020: Belaruss*innen kämpfen auf Seiten der Ukrainer in diesem Krieg, und durch bisher rund 80 Sabotageakte wurde der Schienenverkehr in die und aus der Ukraine lahm gelegt, so dass hier der russische Truppennachschub erschwert wurde.
Viele aus der belarussischen Opposition sind geflohen, vor allem in die baltischen Staaten und nach Polen. Dazu gehört Swetlana Tichanowskaja, die nach der Verhaftung ihres Mannes, der Präsidentschaftskandidat war, dessen Funktion übernommen hatte. Sie lebt in Litauen und ist nun das Gesicht und die Stimme der Opposition. Sie reist durch die Welt und tritt für die Belange der belarussischen Opposition ein. Ihr Mann ist derweil weiterhin in Haft. Im Zusammenhang mit dem russischen Krieg in der Ukraine hat sie die internationale Öffentlichkeit aufgefordert, den Abzug der russischen Truppen aus ihrer Heimat zu verlangen.
Ein weiteres bekanntes Gesicht der Opposition ist Maria Kolesnikowa. Sie sollte im Spätsommer 2020 aus dem Land gebracht werden, zerriss aber ihren Pass, so dass das Überschreiten der Grenze nicht möglich war. Seitdem sitzt sie in Haft und wurde am 16. September wegen Verschwörung zur verfassungsfeindlichen Machtergreifung zu elf Jahren Haft verurteilt. Inzwischen ist sie in einem Straflager in der Nähe von Gomel inhaftiert. Seit dem 10. September 2020 ist sie als politische Gefangene anerkannt und hat zahlreiche internationale Preise erhalten. Die Musikerin ist wahrscheinlich in Deutschland die bekannteste Oppositionelle, da sie viele Jahre in Stuttgart lebte und fließend Deutsch spricht. Claudia Roth hat in ihrer ehemaligen Funktion als Bundestagsvizepräsidentin eine Patenschaft für sie übernommen. Politische Aufklärungsarbeit leistet nun die Schwester von Maria Kolesnikowa, Tatsiana Khomich, die seit einiger Zeit im Exil lebt.
Die dritte Frau in diesem Bunde, der sich während des Wahlkampfs gegenseitig unterstützte, ist die IT-Expertin Veronika Zepkalo. Auch sie lebt inzwischen in Riga im Exil; sie ist eine der wenigen Menschen im Exil, die ihre Familie bei sich hat. Auch ihr Mann hatte für die Präsidentschaft kandidiert, war als Kandidat aber nicht zugelassen worden.
„Reporter ohne Grenzen“ und andere Organisationen haben dokumentiert, wie die Meinungsfreiheit in Belarus immer stärker eingeschränkt wurde. Einige der Journalist*innen, Blogger*innen und anderen Meinungsmacher*innen sollen hier vorgestellt werden. Es gibt Hunderte mehr und sie alle sind es wert, nicht unbenannt zu bleiben. Im Folgenden beschreibe ich einige Beispiele.
Journalist*innen, Blogger*innen, Meinungsmacher*innen in Gefahr
Im vergangenen Jahr hatten wir während der „Woche der Meinungsfreiheit“ bereits die beiden jungen Journalist*innnen Katerina Andrejewa und Darja Tschulzowa vorgestellt. Beide wurden im Juni 2020 zu zwei Jahren Haft verurteilt und müssten deshalb in diesem Jahr wieder freikommen. Sie wurden inzwischen mit vielen internationalen Preisen ausgestattet, u. a. mit dem Prix Europa in der Kategorie „Europäischer Journalist 2021“.
Am 21. Juni hat der Rat der Europäischen Union beschlossen, die Verantwortlichen für die Verurteilung der beiden Journalistinnen auf die Liste der Personen und Organisationen aufzunehmen, die im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in Belarus sanktioniert werden. Dazu gehört u. a. die Richterin Natallja Buhuk, die den Prozess gegen die beiden Frauen leitete.
Nach Darstellung der Fotografin Ksenia Halubowitsch arbeiten viele der Journalist*innen wie Partisan*innen. Sie wünschen sich mehr Unterstützung aus dem Ausland. Das könne durch die Abnahme von Artikeln in westlichen Medien geschehen, aber auch durch Praktika. Die Journalistin Natalja Lubneuskoja, die die Nachrichtenseite Nascha Niwa betreute, lag 38 Tage im Krankenhaus, nachdem ein Polizist sie aus nächster Nähe angeschossen hatte. Ilor Karnej, der für Radio Free Europe seit 20 Jahren, den Kanal Nexta sowie den Messenger-Dienst Telegram arbeitet und inzwischen auch im Exil in Litauen lebt, fordert die Bundesregierung auf, verfolgten Medienschaffenden schnell und unbürokratisch zu helfen. Der TV-Journalist Ilja Kusnezow, der auch für die ARD arbeitet, verlor nach 20 Jahren Akkreditierung seine Zulassung. Er wurde 14 Stunden ohne Erklärung auf einer Polizeistation festgehalten. Die Gewinnerin des World-Press-Photo-Wettbewerbs 2020, Tanja Thatschowa, kündigte zwei Wochen nach Lukaschenkos Wiederwahl ihre Stelle bei der Regierungszeitung Swjesda. Der Fotograf Ales Pilezki, der für die Zeitung Narodnaja Wolja und das Online-Magazin tut.by arbeitete, wurde drei Mal festgenommen.
Der Philosoph Uladsimir Mazkewitch wurde am 4. August 2021 verhaftet, bis heute wurde aber keine Anklage erhoben oder ein Verhandlungstermin anberaumt. Er trat am 4. Februar 2022 in Hungerstreik, den er am 17. Februar beendete, nachdem er ein Zeichen erhielt, dass sein Verfahren fortgeführt würde. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Luise Amtsberg hat stellvertretend für alle politischen Gefangenen eine Patenschaft für ihn übernommen.
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Besonderes Aufsehen erregte der Fall des jungen Journalisten Roman Protassewitsch, der in einer Ryan-Air-Maschine auf dem Weg von Athen in sein Exil in Vilnius war. Das Flugzeug wurde unter dem Vorwand einer Bombendrohung zur Zwischenlandung in Minsk gezwungen, wo er mit seiner russischen Freundin verhaftet und schließlich von den Machthabern offensichtlich misshandelt zu einer Pressekonferenz mit dem Regime genehmen Aussagen gezwungen wurde.”
Das alles zeigt, dass Fernsehen und die Printmedien inzwischen fest in der Hand des Regimes sind, unabhängige Journalist*innen berichten aus dem Ausland. Regierungstreue Kanäle diffamieren unabhängige Journalist*innen. Es genügt inzwischen, belarussisch statt russisch zu sprechen und rot-weiße Farben zu tragen, um in das Visier des Regimes zu geraten. Der oberste Gerichtshof hat mittlerweile den belarussischen Journalist*innenverband aufgelöst.
Der Social-Media-Kanal Telegram, der in Deutschland oft von Verschwörungstheoretikern verwendet wird, steht in Belarus und anderen osteuropäischen Staaten für Freiheit. Telegram ist für Demonstrant*innen, Blogger*innen und Journalist*innen das wichtigste Medium. Seit Oktober 2021 werden diejenigen, die sich über Messenger-Dienste informieren, rechtlich als „Extremisten“ eingestuft. Das bedeutet, dass ihnen bis zu sieben Jahre Gefängnis drohen. Auch diejenigen, die einen Kanal „nur“ abonniert haben, müssen mit Strafen rechnen. Wenn jemand „kurzfristig inhaftiert“ ist, bedeutet das, dass er oder sie 15 bis 30 Tage ohne Dusche und Kleidung zum Wechseln auskommen und auf dem Boden schlafen muss. In einer Zelle, die für vier Menschen ausgelegt ist, werden bis zu 16 Personen untergebracht.
Verfassungsänderung
Am 28. Februar 2022 führte Lukaschenko eine Verfassungsänderung durch, die unter den Bedingungen, die in Belarus herrschen, mit 65,16 Prozent angenommen wurde. Danach wurde das bisher in der Verfassung verankerte Prinzip der Neutralität aufgegeben, es bindet Belarus noch enger an Russland. Dem Präsidenten wird lebenslange Immunität zugesichert, und die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Perioden tritt erst mit seiner nächsten Wahl in Kraft. Das heißt, Lukaschenko könnte bis 2035 an der Macht bleiben. Im Zusammenhang mit der Verfassungsänderung demonstrierten wieder bis zu 100.000 Menschen auf den Straßen, Hunderte wurden verhaftet.
In Belarus wird vieles davon abhängen, wie der Krieg in der Ukraine weitergeht, denn Lukaschenko ist praktisch von Putin abhängig. Durch den Krieg in der Ukraine ist die Situation in Belarus noch stärker aus unserem Blick geraten. Gerade wegen der Abhängigkeit Lukaschenkos von Putin wird der Ausgang des Krieges die Entwicklung in Belarus mitbestimmen. Auch wenn es im Moment nicht mehr viele Demonstrationen gibt, unter der Oberfläche gärt es, und der Ruf nach einer Demokratisierung des Landes kann jederzeit wieder lauter werden.
Leseempfehlungen:
Homepage von „Reporter ohne Grenzen“; dort gibt es auch O-Töne zum Hören: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/belarus
Alice Bota: Die Frauen von Belarus: “Von Revolution, Mut und dem Drang nach Freiheit”, Juli 2021
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