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Afghanistan braucht mehr als Brot und Wasser
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Ein Gastbeitrag von Dr. Kambiz Ghawami, World University Service (WUS)
Im August 2021 erlangten die Taliban wieder die Kontrolle über Afghanistan; mit der Übernahme der Macht wurden alle Universitäten und Schulen geschlossen. Es herrschte Schweigen und Entsetzen über die Absichten der Taliban gegenüber dem Bildungswesen, wenn man an ihre brutale Haltung während der letzten zweieinhalb Jahrzehnte ihrer Präsenz im Land denkt.
Die Studierenden, insbesondere die Studentinnen, waren entsetzt, dass all ihre Hoffnungen und Perspektiven für ein gleichberechtigtes Leben und Zugang zu Bildung mit Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan und der Machtergreifung der Taliban „beerdigt“ wurden. Aber auch ein Großteil der akademischen Elite des Landes sah sich zur Flucht ins Exil gezwungen, da bekanntlich die Taliban Akademikerinnen und Akademiker verachten und gezielt Jagd auf Intellektuelle, Medienschaffende, Künstlerinnen und Künstler machen, um sie zum „Schweigen“ zu bringen.
In dieser Zeit flohen die meisten Akademiker angesehener nationaler Universitäten aus dem Land, weil sie die außergerichtliche Hinrichtung durch die Taliban fürchteten. Die im Ausland in Flüchtlingslagern untergebrachten Studierenden sowie Akademikerinnen und Akademiker befanden sich in einer ungewissen Lage, und es bestand die dringende Notwendigkeit, sie wieder in das Hochschulsystem einzubinden. Ende August 2021, als alle mit der Evakuierung der Afghanen, insbesondere der Wissenschaftler, beschäftigt waren, startete der World University Service (WUS) die Idee, eine Online-Universität für Afghanen einzurichten.
Es galt, für Afghanistan eine langfristige Zukunftsperspektive zu entwickeln, in der qualifizierte afghanische Fachkräfte eine tragende Rolle spielen, damit eine demokratische Gesellschaft aufgebaut werden kann, die Bestand hat.
Zu diesem Zweck organisierte die WUS am 10. und 11. Dezember 2021 eine Konferenz in Frankfurt, auf der afghanische, deutsche und internationale Wissenschaftler, Politiker und Vertreter des EU-Parlaments über die Idee nachdachten und bedarfsgerechte Vorschläge für die Einrichtung der Afghanistan Online University (AOU) machten. Die Konferenz wurde bewusst auf den 10. Dezember terminiert, dem Internationalen Tag der Menschenrechte.
Es galt, für Afghanistan eine langfristige Zukunftsperspektive zu entwickeln, in der qualifizierte afghanische Fachkräfte eine tragende Rolle spielen, damit eine demokratische Gesellschaft aufgebaut werden kann, die Bestand hat.
Das Grundanliegen der AOU ist es, insbesondere afghanischen Frauen sowohl innerhalb Afghanistans (solange das Internet nicht durch die Taliban kontrolliert wird) als auch in den zahlreichen Flüchtlingslagern in den Nachbarstaaten Afghanistans eine Studienmöglichkeit zu eröffnen, die sie dazu befähigt, sich nach Abschluss ihrer Studien auf dem internationalen Arbeitsmarkt eine Berufsperspektive zu erschließen.
Ziel dieser Exil-Online-Universität ist es, ein Lehrangebot von Geistes– und Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und IT als Studiengänge anzubieten, die in Kooperation mit Partnerhochschulen und deren akkreditiertenStudiengängen angeboten werden und somit Doppelabschlüsse verleihen könnten.
Ebenso sollte die Online-Universität Forschungsmöglichkeiten für afghanische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ermöglichen und nicht zuletzt den Exilantinnen und Exilanten adäquate Arbeitsmöglichkeiten an dieser Online-Universität bieten, damit sie nicht genötigt sind, ihren Lebensunterhalt im Exil als Taxifahrer oder Pizzabäcker zu verdienen.
Die AOU soll die junge afghanische Generation in die Lage versetzen, langfristig zur Entwicklung eines freien und unabhängigen Afghanistans beizutragen. Die AOU wird zu einer nachhaltigen Perspektive beitragen, die junge afghanische Talente aus Afghanistan eine Studienmöglichkeit eröffnet und fördert.
Erfreulicherweise hat das Europaparlament dank der Initiative von Vizepräsidentin des Europaparlaments Nicola Beer mit großer Mehrheit am 7. April 2022 einen Entschließungsantrag angenommen, in der die geplante Afghanistan Online University gewürdigt und der EU-Kommission zur Mitfinanzierung empfohlen wird.