Frauenrechte und Meinungsfreiheit in Afghanistan – Taliban unterdrücken Frauen und Mädchen systematisch
Fortsetzung
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Eine Gesellschaft verliert ihre Meinungs– und Pressefreiheit
Bevor die Taliban an die Macht kamen, wurde mit internationaler Unterstützung eine moderne Verfassung verabschiedet, die im zweiten Kapitel alle Aspekte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte über bürgerliche und politische Rechte beinhaltete wie zum Beispiel die Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern.
Eine der größten Errungenschaft der letzten 20 Jahre in Afghanistan war, dass sich eine starke Zivilgesellschaft etablieren konnte, die hinter dieser Verfassung und den damit einhergehenden Freiheitsrechten stand – vor allem in den Großstädten.
Dank des Rechts auf Presse– und Meinungsfreiheit konnte sich auch eine vielfältige Medienlandschaft etablieren mit 547 Medien und über 11.000 Journalist*innen im Sommer 2021. Doch seit der Machtübernahme der Taliban ist die Medienlandschaft um mehr als ein Drittel geschrumpft. Laut Reporter ohne Grenzen wurden innerhalb eines Jahres fast 40 Prozent aller Medien eingestellt und über 76 Prozent der Journalist*innen haben ihren Job verloren oder gaben ihn aus Angst vor den Taliban auf. In vielen Provinzen arbeiten gar keine Journalistinnen mehr. Auf der Rangliste der Pressefreiheit für das Jahr 2022 ist Afghanistan auf den Platz 156 von insgesamt 180 zurückgefallen (im Jahr 2021 war Afghanistan noch auf Platz 122).
Die Rolle westlicher Staaten bei der Machtübernahme durch die Taliban
Die Vorbereitung der Machtübernahme durch die Taliban war durch die Verhandlungen der USA mit den Taliban im Rahmen des sogenannten Doha-Abkommens „Bringing Peace to Afghanistan“ angelegt, in dem der vollständige Abzug der internationalen Truppen bis zum 30. April 2021 und die Aufnahme von innerafghanischen Friedensverhandlungen festgelegt wurden. Die Forderung, aus Afghanistan abzuziehen, war bereits von Biden in seiner Zeit als Vizepräsident mehrfach angestoßen worden. Nun aber wurden die realen Verhandlungen unter Präsident Trump geführt und schließlich im Februar 2020 unterzeichnet.
Das Abkommen wurde fatalerweise beschlossen, ohne auf die Wahrung etablierter Rechte und Freiheiten für das afghanische Volk zu insistieren. Zu den angestrebten Friedensverhandlungen, an denen die Taliban offensichtlich kein Interesse hatten, ist es nie gekommen.
Durch das Abkommen fühlen sich viele in Afghanistan, die sich in den letzten 20 Jahren für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, verraten. Auch den westlichen Mächten muss klar gewesen sein, dass der fluchtartige Abzug der westlichen Truppen zum Zusammenbruch auf allen Ebenen führt: militärisch, humanitär und demokratisch. Auch im UN-Sicherheitsrat wurde der entsprechenden Resolution allerdings einstimmig zugestimmt.
Es ist ein rechtsfreier Raum entstanden, in dem die Taliban ohne jegliche Kontrolle zunehmend brutal agieren. Binnen weniger Monate entwickelte sich Afghanistan zu einem der frauenfeindlichsten Länder der Welt und wurde wieder Zentrum von terroristischen Netzwerken. Zehntausende verhungern, die Krankenversorgung bricht zusammen, das Land versinkt im Chaos.
Am Anfang der Machtübernahme durch die Taliban demonstrierten Afghan*innen mutig für ihre Rechte, gingen auf die Straße und forderten ihre Rechte auf Brot, Arbeit und Freiheit ein. Diese Proteste konnten nicht wachsen, denn zahlreiche Teilnehmer*innen wurden festgenommen, gefoltert, gedemütigt und ermordet. Mohammad Yusuf Mistry, der Generaldirektor der Taliban-Gefängnisse, sagt im Januar 2023, dass „mehr als 12.000 Gefangene“ in Taliban-geführten Gefängnissen festgehalten werden, darunter 800 Frauen und einige Kinder.
Deutschlands Verantwortung nach dem Abzug der Bundeswehr
Die Bundesregierung hat im Unterschied zu vielen anderen Staaten versprochen, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Viele derjenigen, die in Afghanistan für Menschenrechte und Demokratie eingetreten sind, haben an die Verlässlichkeit der westlichen Staaten geglaubt und nach der Machtübernahme der Taliban auf Deutschland und die neue Bundesregierung gehofft.
So hieß es dann auch im Koalitionsvertrag von November 2021: „Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen. Wir wollen diejenigen besonders schützen, die der Bundesrepublik Deutschland im Ausland als Partner zur Seite standen und sich für Demokratie und gesellschaftliche Weiterentwicklung eingesetzt haben. Deswegen werden wir das Ortskräfteverfahren so reformieren, dass gefährdete Ortskräfte und ihre engsten Familienangehörigen durch unbürokratische Verfahren in Sicherheit kommen. Wir werden humanitäre Visa für gefährdete Personen ermöglichen und dazu digitale Vergabeverfahren einführen. […] Deutschland wird sein Engagement für die Menschen in Afghanistan fortsetzen. Die Anerkennung der Regierung knüpfen wir an ihre Inklusivität und an die Bewahrung der Menschenrechte. Insbesondere werden wir uns für Frauen– und Mädchenrechte sowie für den Schutz und die Aufnahme derer einsetzen, die durch eine frühere Zusammenarbeit mit uns gefährdet sind.“ (S.142, 156)
Zudem kündigte die Bundesregierung im Dezember 2021 in einem Aktionsplan Afghanistan an, die Ausreisemöglichkeiten für ehemalige Ortskräfte und besonders Schutzbedürftige ausbauen und beschleunigen zu wollen.
Versprechen aus Koalitionsvertrag nicht umgesetzt
Aber das, was seitdem geschehen ist, ist leider ungenügend. Das am 17. Oktober 2022 gestartete Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan ist intransparent, übermäßig formalisiert und weist handwerkliche Schwächen auf. Mit den angekündigten Aufnahmezusagen für 1.000 Personen pro Monat (also nur 200 bis 300 Familien), handelt es sich zudem nur um ein Mini-Programm, das sich nur an sich in Afghanistan befindende Bedrohte richtet. Viele Verfolgte mussten aber, um ihr Leben zu retten, längst in Nachbarstaaten wie Pakistan und Iran fliehen, wo ihnen die Abschiebung zurück nach Afghanistan droht. Bis heute konnte aufgrund andauernder Anlaufschwierigkeiten keine Person über das Programm nach Deutschland einreisen.
Auch andere Wege der Aufnahme sind extrem schwierig zu erreichen. Bei dem sogenannten Ortskräfteverfahren blieben bisher zahlreiche Betroffene wegen der zu eng gesetzten Auswahl-Kriterien außen vor. Das Verfahren muss daher dringend reformiert werden, so dass alle Bedrohten, die für deutsche Organisationen gearbeitet haben, Schutz finden. Denn die Taliban unterscheiden bei ihren Rachehandlungen nicht, wie weit eine Tätigkeit für westliche Organisationen zurückliegt oder ob es sich um ein Subunternehmen gehandelt hat.
Ebenso muss der Prozess der Familienzusammenführung aus Afghanistan, der vor allem wegen den hohen bürokratischen Hürden und den jahrelangen Wartezeiten bei den deutschen Botschaften in Pakistan und im Iran fast nicht stattfindet, vereinfacht und beschleunigt werden. Der Begriff der Familien (derzeit nur Kernfamilie mit minderjährigen Kindern) sollte auf alle tatsächlich bedrohten Familienmitglieder, die unter einem Dach leben oder gewohnt haben, ausgeweitet werden. Auch aufgenommene ehemalige Ortskräfte sollten einen Anspruch auf Familiennachzug erhalten, denn auch deren Familien sind in Afghanistan von Racheaktionen durch die Taliban bedroht. Nicht zuletzt ist es notwendig, dass afghanische Frauen in Deutschland im Asylverfahren wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden. Das forderte jüngst auch die Europäische Asylagentur (EUAA): Frauen und Mädchen sind angesichts der Politik der Taliban und der Umsetzung der Scharia generell von Verfolgung bedroht und müssen einen Anspruch auf den Flüchtlingsstatus haben.
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