10. Mai: „Der Tag der Bücherverbrennung“
Als die Nationalsozialisten im April 1933 die Bücherverbrennung für den 10. Mai vorbereiteten, arbeitete John Heartfield gleichzeitig bereits an seiner Entgegnung.
Im März 1933 war Heartfield ins Prager Exil geflohen. Eine der ersten Fotomontagen, die er dort für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ) entwarf, war “Durch Licht zur Nacht.” Seine Fotomontage erschien zeitgleich mit der Bücherverbrennung, d.h. am 10. Mai 1933 auf der Titelseite der AIZ: Vor dem Reichstag türmt sich ein Berg mit Büchern. Flammen schlagen hoch. U. a. sind Werke von Thomas Mann, Lenin, Karl Marx, Egon Erwin Kisch, Erich Maria Remarque zu erkennen. Vor dem Scheiterhaufen steht mit erhobenem Zeigefinger Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. Darunter das Spruchband: „Also sprach Dr. Goebbels: Lasst uns aufs Neue Brände entfachen, auf dass die Verblendeten nicht erwachen!“
In zahlreichen deutschen Städten wurden am 10. Mai 1933 auf großen öffentlichen Plätzen Scheiterhaufen errichtet und darin Tausende von Büchern verbrannt. Die Nationalsozialisten bezeichneten dies als “Aktion wider den undeutschen Geist.“ In anderen Städten ging diese Aktion noch einige Wochen weiter, dann z.T. auch von der Hitler-Jugend auf Schulhöfen durchgeführt.
Grundlage für die Auswahl der zu verbrennenden Werke bildeten so genannte „Schwarze Listen“ des Bibliothekars Dr. Wolfgang Herrmann. Die Stadt Berlin hatte drei Volksbibliothekare, darunter Dr. Herrmann, damit beauftragt, einen „Ausschuss zur Neuordnung der Berliner Stadt– und Volksbüchereien“ zu gründen. In einem Grundsatzpapier dieses Auschusses heißt es u.a.: „Der Kampf richtet sich gegen die Zersetzungserscheinungen unserer artgebundenen Denk– und Lebensform, d.h. gegen die Asphaltliteratur, die vorwiegend für den großstädtischen Menschen geschrieben ist, um ihn in seiner Beziehungslosigkeit zur Umwelt, zum Volk und zu jeder Gemeinschaft zu bestärken und völlig zu entwurzeln.“
Dr. Herrmann war seit 1931 Mitglied der NSDAP und hatte schon vor einer Weile damit begonnen eine „Schwarze Liste“ über die Schriften anzulegen, die in den Volksbüchereien und Leihbuchhandlungen für die Ausleihe gesperrt und nach und nach ausgesondert werden sollten. Die Liste von Dr. Wolfgang Herrmann bildete die Grundlage für die “Aktion wider den undeutschen Geist”, sprich: die Bücherverbrennung. Bereits am 16. Mai 1933 erschienen im “Börsenblatt des Deutschen Buchhandels” die inhaltlichen Ausführungen von Dr. Herrmann unter dem Titel: “Prinzipielles zur Säuberung der öffentlicen Biblioteken.”
Im November 1933 wurde die Reichsschrifttumskammer gegründet, sie ergänzte und erweiterte nun fortlaufend die ursprüngliche “schwarze Liste” von Dr. Herrmann.
Die Liste der zu verbrennenden Bücher war in sechs Kategorien eingeteilt: Schöne Literatur (zunächst 71, dann 131 Schriftsteller und 4 Anthologien); Geschichte (51 Autoren und 4 Anthologien); Kunst (8 Werke und 5 Monographien); Politik und Staatswissenschaften (121 Namen und 5 Werke ohne Verfasser); Literaturgeschichte (9 Verfassernamen); Religion, Philosophie, Pädagogik.
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Zu den Büchern, die im Mai 1933 verbrannt wurden, gehörten z.B. auch die von Kurt Tucholsky. Er hatte bereits 1930 seinen Wohnsitz ins schwedische Hindås in der Nähe von Göteborg verlegt.
Über die Bücherverbrennung schrieb Tucholsky damals:
“Unsere Bücher sind also verbrannt. Im Buchhändlerbörsenblatt ist eine große Proskriptionsliste für in vierzehn Tagen angekündigt. Dieser Tage stand an der Spitze des Blattes im Fettdruck: ‘Folgende Schriftsteller sind dem deutschen Interesse abträglich. Der Vorstand des Börsenvereins erwartet, dass kein deutscher Buchhändler ihre Werke verkauft. Nämlich: Feuchtwanger — Glaeser — Holitscher — Kerr — Kisch — Ludwig — Heinrich Mann — Ottwalt — Plivier — Remarque — Tucholsky — und Arnold Zweig’. In Frankfurt haben sie unsere Bücher auf einem Ochsenkarren zum Richtplatz geschleift. Wie ein Trachtenverein von Oberlehrern.”
Berthold Brecht beschrieb die damaligen Ereignisse in einem Gedicht so:
“Als das Regime befahl, Bücher mit schändlichem Wissen/ Öffentlich zu verbrennen, und allenthalben/ Ochsen gezwungen wurden, Karren mit Büchern/ Zu den Scheiterhaufen zu ziehen, entdeckte/ Ein verjagter Dichter, einer der besten, die Liste der/ Verbrannten studierend, entsetzt, dass seine/ Bücher vergessen waren. Er eilte zum Schreibtisch/ Zornbeflügelt, und schrieb einen Brief an die Machthaber./ Verbrennt mich! Schrieb er mit fliegender Feder, verbrennt mich!/ Tut mir das nicht an! Laßt mich nicht übrig! Habe ich nicht/ Immer die Wahrheit berichtet in meinen Büchern? Und jetzt/ Werd ich von euch wie ein Lügner behandelt! Ich befehle euch:/ Verbrennt mich!” (Brecht meint damit Oskar Maria Graf).
Auch die Bücher von Alfred Döblin landeten im Mai 1933 auf den Scheiterhaufen der Bücherverbrennungen. 1929 war er aufgrund seines weltberühmten Romans “Berlin Alexenderplatz” für den Nobelpreis vorgeschlagen worden. Der NS-Staat erklärte den Schriftsteller und Psychiater, der aus einer assimilierten jüdischen Familie stammte, nun zum “Asphaltliteraten”. Döblin hatte mit seiner Familie bereits einen Tag nach dem Reichstagsbrand Deutschland verlassen. Für wenige Monate lebte er in der Schweiz, ab September 1933 in Paris.
Die Liste der damals verbrannten und verbotenen Autoren ist lang. Und nicht nur die offiziellen Bibliotheken wurden gesäubert. Auch viele Privathaushalte sortierten aus oder stellten die entsprechende Literatur zumindest in die zweite Reihe. Bei Hausdurchsuchungen wurde stets auch nach verbotener Literatur gesucht und den jeweils Festgenommenen zur Last gelegt.