Das Leben auf der Straße ist sehr hart ist. Kann man sich denn irgendwie dagegen schützen?
Viele haben z.B. einen Wachhund, um sich vor gewalttätigen Angriffen zu schützen. Und man sollte sich auch Utensilien zur Verteidigung besorgen. Viele haben einen Teleskopschlagstock oder ähnliches bei sich. Als Obdachloser sollte man auch nicht gerade abseits übernachten, sondern immer den Kontakt zu anderen suchen. Einige Obdachlose erfrieren auch im kalten Winter. Es ist schwierig sich gegen Kälte und Nässe zu schützen. Allein schon die Luftfeuchte durchdringt in der Nacht alles.
Sie waren schon als Jugendlicher drogenabhängig. Da ich Freunde habe, die auch drogenabhängig sind oder zumindest schon mal Drogen genommen haben, interessiert es mich ganz besonders, wie man damit umgeht und wie man da wieder heraus kommt.
Ich war zehn Jahre lang kokainabhängig; zum Schluss habe ich sogar zwei Gramm am Tag genommen.
Während des Drogeneinflusses ist man vermeintlich gut drauf. Allerdings schadet man sich nur selbst und bröckelt schließlich ab. Die Wesensart der drogenabhängigen Person verändert sich. Wenn jemand gerade erst angefangen hat Drogen zu nehmen, sollte man das Gespräch mit ihm suchen und darauf hinweisen, was die Folgen sind. Man kann die Person auch auf Filme oder Bücher aufmerksam machen, die sich mit dem Drogenkonsum befassen. Falls jemand schon länger Drogen nimmt, kann man sie mit ihrem Aussehen oder mit ihrem Erscheinungsbild konfrontieren und den betroffenen Personen zum Beispiel direkt ins Gesicht sagen, dass sie heute schlecht aussehen und warum das so ist.
Aber man sollte natürlich auch, um den Jugendlichen zu helfen, den Lehrer und den Schulsozialdienst informieren. Bei Beratungsstellen bin ich eher zwiegespaltener Meinung, weil es doch häufig vorkommt, dass man rein geht, sein Herz ausschüttet und merkt, dass man nicht weiterkommt. Viele gehen dann direkt wieder und und machen so weiter wie bisher.
Ich bin erst freiwillig ausgestiegen, als ich schon kurz vor dem Selbstmord war. Ich stand schon auf der Brücke …
Ein anderer Punkt, den ich extrem fand, ist die Tatsache, dass sie nur drei Jahre in der Schule waren. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie man sich mit nur drei Jahren Schule eine Perspektive aufbauen will. Außerdem gibt es ja die Schulpflicht. Bei Ihnen ist das ein besonderer Fall, weil Ihre Eltern durch die NS Zeit selbst genug Probleme hatten und es für sie schwierig war, sich um Sie zu kümmern.
Ja, das stimmt. Mein Vater wurde in der NS Zeit politisch verfolgt. Als Widerstandskämpfer war er im KZ und wurde Anfang Mai 1945 in Mauthausen befreit. Er war Musiker von Beruf und ging nach dem Krieg und seinen Ehrungen als politisch Verfolgter in die USA. Er spielte Schlagzeug in der Big Band von dem Trompeter Harry James. Deshalb sprach mein Vater meist nur amerikanisch mit mir. Oder romanes — er verkehrte auch in Deutschland meist nur mit Amerikanern und mit Sinti.
Meine Mutter war eine polnische Jüdin aus Katowice; Sie sprach polnisch oder jiddisch mit mir. So bin ich mit sechs Jahren eingeschult worden, konnte vier verschiedene Sprachen relativ gut, aber eben nur ein bisschen deutsch. In der Schule sagte ich deshalb meist nur “Guten Morgen“, „Hallo“ oder „Auf Wiedersehen.“ Da haben die anderen Kinder zu mir gesagt, dass ich kein richtiger Deutscher sei. Deshalb bin ich dann nicht mehr in die Schule gegangen, weil mir die anderen Kinder zu blöd vorkamen.
Zudem war die Schule auch langweilig für mich, weil ich schon lesen, schreiben und rechnen konnte, das hatten mir meine Eltern beigebracht. Die anderen hingegen konnten fast nichts. Mit sechs Jahren konnte ich außerdem schon einige Musikinstrumente spielen. In der Schule hatten wir einen Musikraum mit einem Klavier. Kaum habe ich angefangen zu spielen, kam ein Lehrer rein und sagte, dass ich aber ohne Erlaubnis nicht spielen dürfe. Da habe ich mir gedacht, wenn ich sowieso schon weiß, was hier gemacht wird und ich eh nichts darf, warum soll ich dann in die Schule gehen. Meine Mutter war eine gute Klavierspielerin und Sängerin.
Welche Erfahrungen hatten sie in den Kinder– und Jugendheimen, in denen sie zeitweise untergebracht wurden?
Mit acht Jahren bin ich das erste Mal in ein Kinderheim gekommen. Meine Eltern konnten sich einfach nicht richtig um mich kümmern. Dazu waren sie viel zu traumatisiert. In diesem Kinderheim haben Nonnen gearbeitet, die uns immer wieder mit Essensentzug bestraft haben. Es kam auch zu sexueller Gewalt und Sadismus, sodass mein Vater mich dort schließlich wieder rausgeholt hat. Mit 14 Jahren kam ich dann in ein Landesjugendheim. Auch dort kam es häufig zu Gewalt untereinander, außerdem auch hier zu Vergewaltigungen. Es gab einige Erzieher, die sich die Jungs in das Erzieherzimmer geholt und sich sexuell an ihnen vergangen haben. Als ich in das dritte Jugendheim kam, war ich 17 Jahre alt. Das sei meine letzte Rettung, hat mir das Jugendamt damals gesagt. Der Einrichtungsleiter war ein Pastor, der damit geprahlt hat, dass er im Krieg ein hoher Wehrmachtsoffizier war. Die Mädchen wurden in diesem Heim zur Prostitution gezwungen.
Ich habe mich gegen diese Maßnahmen in den Kinder– und Jugendheimen gewehrt. Seit meinem achten Lebensjahr bin ich regelmäßig zwei oder drei Mal die Woche ins Ringen gegangen, um mich im Notfall immer verteidigen zu können.
Als ich dem Jugendamt in Mannheim erzählte, was ich alles in den Jugendheimen erlebt habe, hat mir niemand geglaubt und ich wurde als Lügner bezeichnet. Sie haben mich daraufhin in die Kinder– und Jugendpsychiatrie gesteckt, wo ich mit Medikamenten vollgepumpt wurde, damit ich erst mal ruhig war und gar nichts mehr erzählen konnte. Erst viele, viele Jahre später konnten wir beweisen, dass all das gestimmt hat, was uns Kindern und Jugendlichen damals in diesen Heimen angetan wurde …
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Alles, was Sie beschreiben, beeindruckt mich sehr. Ich habe durch Sie viel gelernt. Danke!