His­to­ri­sche und aktu­elle Fra­gen zu Aspek­ten der Men­schen­rechte — ein Podi­ums­ge­spräch mit Tom Koenigs

3. The­men­block: Die Kai­roer Erklä­rung der Men­schen­rechte und die Frage nach Tom Koe­nigs‘ Wahr­neh­mung von “den” Taliban?

Myriam Andres, Moderatorin und Lehrerin der Ricarda-Huch-Schule, Dreiech
Myriam And­res, Mode­ra­to­rin und Leh­re­rin der Ricarda-Huch-Schule, Dreiech

Die in der UN-Menschenrechtserklärung for­mu­lierte Reli­gi­ons­frei­heit wurde eben ange­spro­chen. Dem­ge­gen­über aber gibt es seit 1990 auch die “Kai­roer Erklä­rung der Men­schen­rechte.” Darin haben 56 z.T. sehr bedeu­tende ara­bi­sche Staa­ten aus­drück­lich eine enge Ver­knüp­fung for­mu­liert zwi­schen Poli­tik, Recht und Reli­gion. In der Prä­am­bel der Kai­roer Erklä­rung heißt es: “… in dem Wunsch, zu den Bemü­hun­gen der Mensch­heit um die Fest­le­gung von Men­schen­rech­ten bei­zu­tra­gen, die den Men­schen vor Aus­beu­tung und Ver­fol­gung zu schüt­zen und seine Frei­heit und sein Recht auf ein wür­di­ges Leben im Ein­klang mit der isla­mi­schen Scha­ria bestä­ti­gen…“ Im fol­gen­den Absatz heißt es: “… in der Über­zeu­gung, dass die Mensch­heit, die in der Wis­sen­schaft von den mate­ri­el­len Din­gen ein fort­ge­schrit­te­nes Sta­dium erreicht hat, noch immer drin­gend den Glau­ben als Trä­ger der Zivi­li­sa­tion benötigt…”

"Es ist unvernünftig mit Scharia nur das zu assoziieren, was von äußerst fundamentalistischen Vertretern des Islam darunter verstanden wird. Man sollte nie außer Acht lassen: Fundamentalisten gibt es in jeder Religion - auch beim Christentum."
“Es ist unver­nünf­tig mit Scha­ria nur das zu asso­zi­ie­ren, was von äußerst funda-mentalistischen Ver­tre­tern des Islam dar­un­ter ver­stan­den wird… Fundamenta-listen gibt es in je-der Reli­gion — auch beim Christentum.”

Tom Koe­nigs: Die Kai­roer Erklä­rung ist aus mei­ner Sicht eine Kampfer­klä­rung. Und es ist nicht ver­wun­der­lich, dass es sie gibt. Natür­lich wird immer wie­der um die Men­schen­rechte gekämpft – und zwar von allen Sei­ten. Schari’a (das reli­giöse Recht des Islam) heißt zunächst erst ein­mal nur: Gesetz. Und zu die­sem Gesetz gab und gibt es immer libe­ra­lere Aus­le­gun­gen und auch stren­gere. Im isla­mi­schen Recht und in der Reli­gi­ons­lehre gibt es sehr unter­schied­li­che Ansätze: fun­da­men­ta­lis­ti­sche, aber auch libe­rale. So hatte ich z.B. in Afgha­nis­tan in mei­ner Abtei­lung für Men­schen­rechts­fra­gen auch Schari’a-Rechtsanwälte. Es war für mich hoch­in­ter­es­sant zu sehen, wo diese mit unse­rer Rechts­auf­fas­sung über­ein­stimm­ten und wo nicht. Ich gebe Ihnen dafür ein Bei­spiel — ein Bei­spiel, bei dem ich gerade mit unse­rer west­li­chen Rechts­pflege sehr unzu­frie­den bin: In Straf­pro­zes­sen kom­men bei uns die Opfer kaum mehr vor; sie exis­tie­ren meist nur irgendwo im Hin­ter­grund. Dies ist z.B. in der Schari’a völ­lig anders! Dort gibt es den Täter-Opfer-Ausgleich wesent­lich stär­ker… Grund­sätz­lich sollte jedem klar sein: Es gibt natür­lich auch unter den Mus­li­men Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten, die es schwer haben. Und ebenso gibt es auch unter den Chris­ten Fun­da­men­ta­lis­ten — wie auch bei den Juden. Da muss man inner­halb jeder Reli­gion wirk­lich immer etwas genauer hinschauen…

Paul Brans, 19 J., Schüler der Bertha-von-Suttner-Schule, Mörfelden-Walldorf.
Paul Brans, 19 J., Schü­ler der Bertha-von-Suttner-Schule, Mörfelden-Walldorf.

Paul: „Die“ Tali­ban sind in unse­ren Medien und damit auch in der brei­ten Öffent­lich­keit so etwas wie der Inbe­griff des Bösen. Ist dem wirk­lich so? Sie schrei­ben z.B. in Ihrem Buch, dass die Tali­ban eine Bewe­gung von unten und (des­halb auch heute noch) weni­ger kor­rupt sind als die Herr­schen­den im Staat. Im Ver­lauf des heu­ti­gen Abends haben Sie betont, wie wich­tig es aus Ihrer Sicht ist, nicht nur über­ein­an­der, son­dern mit­ein­an­der zu spre­chen. Was heißt das in Bezug auf die Tali­ban? Haben Sie mit ihnen gespro­chen? Wie ist Ihre Ein­schät­zung? Sollte man sie viel­leicht sogar in Ver­hand­lun­gen ein­be­zie­hen? Ich habe den Ein­druck, für Sie sind Tali­ban nicht ein­fach die Ver­kör­pe­rung “des” Bösen? Was sind Ihre Ein­drü­cke von den Ver­hält­nis­sen in Afghanistan?

Tom Koe­nigs: Afgha­nis­tan ist  nach wie vor in der Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen zwei Extre­men – dem eng­li­schen libe­ra­len Lawyer, der reli­giös kei­ner­lei Ambi­tio­nen hat und dem sog. “Gottes-Staatler”. Bei den Tali­ban gibt es schwer­punkt­mä­ßig letz­tere Ten­denz — und dies immer mehr. Aber es gibt auch sehr libe­rale Tali­ban! Sie sind aller­dings mit dem jet­zi­gen Regime nicht zufrie­den oder sie kri­ti­sie­ren, dass fremde Trup­pen im Land sind. Das ist ihnen ein wich­ti­ges Thema. Grund­sätz­lich muss klar sein: Die Tali­ban sind eine Bewe­gung. Das ist keine Par­tei und es ist auch kein Heer.

(wei­ter­le­sen…)

4. Thema: Bür­ger­krieg in Syrien – Was heißt hier für uns Wah­rung der uni­ver­sel­len Men­schen­rechte? Was bedeu­tet die Sou­ve­rä­ni­tät eines Staates? 

Moderatorin Cornelia Rühlig, Stadthistorikerin in Mörfelden-Walldorf
Cor­ne­lia Rüh­lig, Mode­ra­to­rin und Stadt­his­to­ri­ke­rin in Mörfelden-Walldorf

Zunächst möchte ich an Con­stan­tins Frage erin­nern: “Wie kann man es schaf­fen, die Men­schen poli­tisch zu sen­si­bi­li­sie­ren?” Dar­auf ant­wor­te­ten Sie vor­hin: Es geht nicht darum, irgend­je­man­den “zu sen­si­bi­li­sie­ren”, son­dern es ist wich­tig, dass wir mit (!) den Men­schen arbei­ten, um die es jeweils geht. In vie­len Fäl­len ist dies gewiss rich­tig und wichtig.Doch was heißt dies z.B. in Bezug auf Syrien und unser Ver­hält­nis zu dem, was dort zur­zeit Im Bür­ger­krieg geschieht? Jeden Abend sehen wir schreck­li­che Bil­der im Fern­se­hen: Täg­lich wer­den Men­schen getö­tet oder sie ver­elen­den inmit­ten der Trüm­mer­land­schaf­ten. Sie haben vor­hin bereits selbst die Grö­ßen­ord­nun­gen genannt: Bis­her sind es ca. 120.000 Tote und 6 Mil­lio­nen Flücht­linge. Im Liba­non sind inzwi­schen bereits über eine Mil­lion syri­sche Flücht­linge. Die­ses Land hat selbst nur 4 Mio Ein­woh­ner d.h. ein ¼ der Bevöl­ke­rung ist nun noch als Flücht­ling hinzugekommen.

Und wir sehen all dem tag­täg­lich zu. Wir schauen uns diese Ereig­nisse gemüt­lich vom Sofa aus an. Und wenn unsere Regie­rung ent­schei­det, dass Deutsch­land 5.000 syri­sche Flücht­linge auf­neh­men wird, gibt es in der Öffent­lich­keit sofort einen gro­ßen Auf­schrei. Bis­lang sind noch sind nicht ein­mal 1.000 syri­sche Flücht­linge hier… Ist das nicht etwas absurd und Con­stan­tins Frage doch sehr berechtigt?

"xyxyxxyxyx......"
“Zunächst erst ein­mal hilft es, sich ein­fach die Frage zu stel­len: Auf wel­cher Seite wol­len wir stehen?”

Tom Koe­nigs: Ja, es stimmt: Wir sit­zen zu Hause und sehen das. — Was kön­nen wir tun? Zunächst erst ein­mal hilft es – auch wenn man selbst nichts machen kann – sich ein­fach die Frage zu stel­len: “Auf wel­cher Seite wol­len wir ste­hen?” – Und es gibt genü­gend Opfer, auf deren Seite wir ste­hen können.

Bei der Flücht­lings­frage zum Bei­spiel: Da haben wir eine Ver­ant­wor­tung! Da kön­nen wir uns nicht nur ein­set­zen, da müs­sen wir uns natür­lich dafür ein­set­zen, dass es mehr als 5.000 wer­den! Das Argu­ment, sie lie­ßen sich nicht inte­grie­ren, ist lächerlich.Wir brau­chen Immi­gra­tion — und wir kön­nen Immi­gra­tion. Die­je­ni­gen, die aus Syrien kom­men, sind meist gut aus­ge­bil­det. Wir kön­nen sie gut gebrau­chen. Mit der Frage der Flücht­linge anders umzu­ge­hen, wäre gut. Im letz­ten Jahr (2012) betrug die Ein­wan­de­rung nach Deutsch­land ins­ge­samt 421.000 Men­schen. Doch davon haben nur 30.000 Men­schen ein Auf­ent­halts­recht bekom­men. Und dar­über regen sich heute viele auf – über 30.000 Men­schen. Das ist absurd!

Samuel Kiessl, 19 J., Schü­ler der Heinrich-Emanuel Merck-Schule, Darmstadt

Samuel: Hier möchte ich gerne gleich eine Frage anschlie­ßen. Sie bezieht sich auf die Situa­tion in Syrien. Ich argu­men­tiere hier mit Arti­kel 3 der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rechte: „Jeder hat das Recht auf Leben, Frei­heit und Sicher­heit der Per­son.“ Dies trifft für Syrien im Augen­blick kei­nes­wegs zu. Die­ses Men­schen­recht wird dort fort­wäh­rend ver­letzt. Was heißt das nun für uns? Kön­nen wir ein­fach sagen: Syrien ist ein sou­ve­rä­ner Staat, also dür­fen wir von außen nicht ein­grei­fen? Dem­ge­gen­über aber ste­hen die Men­schen­rechte, zu deren Beach­tung und Ein­hal­tung wir uns ver­pflich­tet haben. Ab wann kön­nen oder sol­len wir ein­grei­fen?  In wel­cher Form? Was legi­ti­miert oder erfor­dert aus Ihrer Sicht sogar ein mili­tä­ri­sches Ein­grei­fen? Wann sind die Rechte der Men­schen in einem Staat wich­ti­ger als die Sou­ve­rä­ni­tät die­ses Staates?

Tom Koe­nigs: Natür­lich muss der syri­sche Staat „Leben, Frei­heit und Sicher­heit“ sei­ner Bür­ger schüt­zen. Aber er tut es nicht. Und er kann es auch nicht, ganz offensichtlich.Du hast ganz recht: Die Frage ist: “Was pas­siert, wenn ein Staat seine Bür­ger nicht mehr vor mas­sen­haf­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen schützt? Muss da nicht die inter­na­tio­nale Gemein­schaft ein­tre­ten?” — Ja, die inter­na­tio­nale Gemein­schaft hat sich ver­pflich­tet in sol­chen Fäl­len unter Umstän­den ein­zu­grei­fen. Die Umstände sind aber an einem Punkt deut­lich defi­niert: Das Ein­grei­fen darf den Scha­den nicht grö­ßer machen und das Ein­grei­fen muss auch geeig­net sind, Erfolg zu versprechen…

(wei­ter­le­sen…)

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mit Schülern der Ricarda-Huch-Schule, Dreieich
Myriam And­res unter­rich­tet an der Ricarda-Huch-Schule, Drei­eich, Geschichte. Seit eini­gen Jah­ren nimmt sie mit ihren Ober­stu­den­schü­le­rIn­nen an Pro­jek­ten­der Margit-Horváth-Stiftung und auch der Stadt Mörfelden-Walldorf teil.

 

UN-Sonderbeauftragter Tom Koenigs in Kabul; in der Hand hält er ein Kunstprodukt aus Kriegsschrott von Khalid Dayani, 14. Mai 2006.
UN-Sonderbeauftragter Tom Koe­nigs in Kabul; in der Hand hält er ein Kunst­pro­dukt aus Kriegs­schrott von Kha­lid Dayani, 14. Mai 2006.
Tom Koenigs mit Würdenträger in Afghanistan, 2007.
Tom Koe­nigs mit Wür­den­trä­ger in Afgha­nis­tan, 2007.
"Machen wir Frieden oder haben wir Krieg? - Auf Un-Mission in Afghanistan" von Tom Koenigs, Berlin 2011
“Machen wir Frie­den oder haben wir Krieg?  Auf UN-Mission in Afgha­nis­tan“
von Tom Koe­nigs, Ber­lin 2011

 

Aleppo, 2012
Das durch unzäh­lige Luft­an­griffe zer­störte Aleppo im Nor­den Syri­ens, 2012
"Wenn ihr uns nicht helft, werden wir sterben." Demonstration der Nähe von Homs, 2012
Wenn ihr uns nicht helft, wer­den wir ster­ben,” steht auf dem Schild, das der kleine Junge wäh­rend einer Demons­tra­tion in einem Dorf in der Nähe von Homs hoch­hält, 2012.
Homs, 2012
Blick auf die Mil­lio­nen­stadt Homs nach einem der vie­len Luft­an­griffe, 2012.
Der syrische Bürgerkrieg hat schon mehr als 100.000 Tote und unzählige Verletzte gefordert.
Der syri­sche Bür­ger­krieg hat schon mehr als 120.000 Tote und unzäh­lige Ver­letzte gefordert.
Tote, die vermutlich durch einen Giftgasangriff durch die syrische Regierung ums Leben kamen, 2013
Tote, die ver­mut­lich durch einen Gift­gas­an­griff durch die syri­sche Regie­rung ums Leben kamen, 2013
Syrisches Flüchtlingscamp im Libanonim Liba­non sind nun über eine Mil­lion syri­sche Flücht­linge. Der Liba­non hat selbst nur 4 Mio Ein­woh­ner d.h. ein ¼ der Bevöl­ke­rung ist nun als Flücht­ling hinzugekommen.
Syri­sches Flücht­lings­camp im Liba­non. In die­ses Nach­bar­land sind über eine Mil­lion Syrer geflücht­et. Der Liba­non hat selbst 4 Mio Ein­woh­ner d.h. ein ¼ der Bevöl­ke­rung ist nun als Flücht­ling hinzugekommen.