Historische und aktuelle Fragen zu Aspekten der Menschenrechte — ein Podiumsgespräch mit Tom Koenigs
„Da die Missachtung der Menschenrechte
zu Akten der Barbarei führte,
die das Gewissen der Menschheit tief verletzt haben,
verkündet die Generalversammlung der Vereinten Nationen
die vorliegende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
als das von allen Völkern und Nationen
zu erreichende gemeinsame Ideal…“
heißt es in der Präambel der UNO-Menschenrechtserklärung.
Bürgermeister Becker geht bei seiner Begrüßung auf die so außergewöhnliche politische und berufliche Biographie von Tom Koenigs ein – von der Banklehre und dem Studium der Betriebswirtschaft, über seine Mitgliedschaft in der Gruppe “Revolutionärer Kampf”, seiner Arbeit als Schweißer bei der Firma Opel, 25 Jahre später als Stadtkämmerer von Frankfurt, schließlich UN-Sonderbeauftragter im Kosovo, Guatemala und Afghanistan. 2009 – 2013 war er Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte im Deutschen Bundestag. Tom Koenigs ist zweifellos einer der profundesten Kenner der heutigen Thematik. Herr Becker bedankt sich für die intensive Vorbereitung des heutigen Abends bei den LehrerInnen und 150 SchülerInnen der Ricarda-Huch-Schule (Dreieich), der Heinrich-Emanuel-Merk-Schule (Darmstadt), der Dreieich-Schule (Langen), der Bertha-von-Suttner-Schule (Mörfelden-Walldorf) und der Museumsleiterin und Stiftungsvorsitzenden Cornelia Rühlig.
Tom Koenigs beginnt sein Kurzreferat mit dem Verweis auf den 10. Dezember 1948: „Dies ist der Tag, an dem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der Generalversammlung der Vereinten Nationen unterzeichnet wurde - ein unglaublich weitreichendes Datum — ein unglaublich weitreichendes Dokument, das alle Staaten dieser Erde unterschrieben haben. Diese Erklärung ist universell und unteilbar.“ Artikel 1 heißt: „Freiheit, Gleichheit, Solidarität.“ „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“
Doch Rechte werden stets auch verletzt. In konkreten politischen Konflikten habe ich mich immer wieder gefragt: Auf welche Seite soll ich mich denn nun stellen? — Für Menschenrechtsaktivisten gibt es dafür eine klare Regel: Im Zweifel immer auf die Seite der Opfer.
1. Themenblock: Die Geschichte der Menschenrechte
Constantin erläutert kurz, dass im späten 18. Jh. die Erklärung der Menschenrechte in den USA im Zuge der Loslösung von der Kolonialherrschaft Englands niedergeschrieben wurde, in Frankreich nach der Abschaffung der absolutistischen Herrschaft. Die UNO-Menschenrechtserklärung entstand 1948 vor dem Hintergrund der Barbarei der NS-Zeit und des Holocaust.
Seine Frage: Meinen Sie, dass es auch ohne die Erfahrung von Unterdrückung und Verletzung der Menschenwürde zur Formulierung der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gekommen wäre? Ist die Verletzung von Menschenwürde eine Voraussetzung dafür, dass man sich dieser bewusst wird?
Tom Koenigs: Ich glaube, kein einziges Menschenrecht ist ohne Kämpfe zustande gekommen. Es geht immer nur voran durch Menschen, die sich einsetzen, die sich engagieren, die etwas riskieren. Sie haben dies eben aus der geschichtlichen Entwicklung völlig zutreffend abgeleitet. Aber nicht nur das; auch nach der offiziellen Erklärung der Menschenrechte hat es immer wieder Verletzungen derselben gegeben. Deshalb ist es so wichtig, sich nicht auf solchen Erklärungen auszuruhen, sondern sich immer wieder für deren Durchsetzung zu engagieren.
Constantin: Was aber kann Ihrer Meinung nach getan werden, um die Menschen für die Verletzung der Menschenrechte frühzeitig zu sensibilisieren?
Tom Koenigs: Ich denke, die Menschen müssen nicht sensibilisiert werden. Ich sehe nur Lösungen gemeinsam mit (!) den Opfern von Menschenrechtsverletzungen. Zum Beispiel die Unterdrückung der Schwarzen in den USA oder auch die Roma hier in Europa…
Henrik: Frankreich war das erste europäische Land, in dem die Menschen– und Bürgerrechte eingeführt wurden. Allerdings wurden sie durch den Nationalkonvent schon kurz darauf wieder außer Kraft gesetzt und damit auch die Gewaltenteilung. Robespierre vertrat die Position, die Menschenrechte durch Tugend und Terror „schützen“ zu wollen. Aber Hunderte kamen dabei zu Tode. Was trieb Robespierre an, sich nun über die Menschenrechte zu stellen und damit auch die Rechte der Anderen einzuschränken? Und wie beurteilen Sie, dass schließlich auch Robespierre selbst hingerichtet wurde? Hätte man da dennoch die Menschenrechte beachten sollen?
Tom Koenigs: Zunächst zur Frage der Hinrichtung. Außergerichtliche Hinrichtungen finde ich immer scheußlich. Das ist eine Verletzung des Menschenrechts. Zum Beispiel: die Hinrichtung von Gaddafi oder amerikanische Bürgerrechtler…
Nun zum ersten Teil Ihrer Frage, zum Machtanspruch von Robespierre. Es ist in der Geschichte überhaupt kein Einzelfall, dass eine Bewegung, die für die Befreiung der Menschen aus der Unterdrückung antritt, die für Gleichheit und Menschenrechte kämpft, in einer späteren Phase, wenn sie dann versucht ein Land voran zu bringen, ihre eigenen hohen Ideale verlässt und schließlich sogar zu einer Form des Terrorismus degeneriert. Ein Beispiel hierfür ist der Stalinismus oder noch schlimmer das Pol Pot Regime in Kambodscha.
2. Themenblock: Ist die allgemeine Erklärung der Menschenrechte wirklich universell oder doch eher kulturrelativ?
Kimberly: Es fällt mir schwer, Ihrem Anspruch zu folgen, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wirklich universell sein soll. Gibt es nicht viele arabische, afrikanische oder auch asiatische Länder, in denen auch heute noch eine enge Bindung an eigene traditionelle Werte, Kulturpraktiken und Religion besteht? Elemente davon stehen doch zumindest teilweise im Widerspruch zur Menschenrechtserklärung der UNO. Im asiatischen Kulturraum ist z.B. in vielerlei Hinsicht die Familie wichtiger als das Individuum, in arabischen Gesellschaften ist oftmals die Ehre wichtiger als das Recht des Einzelnen. In afrikanischen Ländern ist die Klitorisbeschneidung ein wichtiges feierliches Stammesritual — unsere Gesellschaft aber bezeichnet dies als Genitalverstümmelung… Dies führt mich dazu, die Menschenrechtserklärung eher im Rahmen eines kulturellen Relativismus zu verstehen. Zudem sind die Menschenrechte – historisch betrachtet – auch immer wieder verändert worden. Das berühmteste Beispiel dafür sind die Menschenrechte in den USA. Sie galten anfangs nur für weiße Männer, aber eben nicht für Frauen oder Sklaven.
Meine Frage lautet daher: Wie bewerten Sie die historischen und kulturellen Unterschiede im Hinblick auf den Anspruch der universellen Gültigkeit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte?
Tom Koenigs: Das ist in der Tat eine Diskussion, die sehr viele Dimensionen umfasst. Zunächst möchte ich feststellen, dass immer wieder versucht wird, die Gültigkeit und Bedeutung der Menschenrechtserklärung zu relativieren – insbesondere gilt dies in Bezug auf die Religion. Wiederum die Menschenrechtserklärung ist an dieser Stelle klar und eindeutig: Sie fordert Religionsfreiheit. Oder zu Ihrem Beispiel der Klitorisbeschneidung bei jungen Mädchen; da möchte ich noch ein weiteres hinzusetzen: die männliche Beschneidung. Auch das ist ein Eingriff in den Körper. Das haben wir letztes Jahr im Deutschen Bundestag ausführlich diskutiert — eben weil auch in diesem Fall zwei Menschenrechte nebeneinander stehen: Religionsfreiheit und damit auch die entsprechenden Rituale und gleichzeitig das Recht auf die Unverletzlichkeit des Körpers.
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