His­to­ri­sche und aktu­elle Fra­gen zu Aspek­ten der Men­schen­rechte — ein Podi­ums­ge­spräch mit Tom Koenigs

Verabschiedung und Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen. Palais de Chaillot, Paris, 10. Dezember 1948
Ver­ab­schie­dung der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rechte.
Palais de Chail­lot, Paris, 10. Dezem­ber 1948

„Da die Miss­ach­tung der Menschenrechte

zu Akten der Bar­ba­rei führte,

die das Gewis­sen der Mensch­heit tief ver­letzt haben,

ver­kün­det die Gene­ral­ver­samm­lung der Ver­ein­ten Nationen

die vor­lie­gende All­ge­meine Erklä­rung der Menschenrechte

als das von allen Völ­kern und Nationen

zu errei­chende gemein­same Ideal…“

heißt es in der Prä­am­bel der UNO-Menschenrechtserklärung.

Tom Koenigs während seines kurzen Einleitungsreferates.
Tom Koe­nigs wäh­rend sei­nes kur­zen Einleitungsreferates.

 

Bürgermeister Heinz-Peter Becker
Bür­ger­meis­ter Heinz-Peter Becker

Bür­ger­meis­ter Becker geht bei sei­ner Begrü­ßung auf die so außer­ge­wöhn­li­che poli­ti­sche und beruf­li­che Bio­gra­phie von Tom Koe­nigs ein – von der Bank­lehre und dem  Stu­dium der Betriebs­wirt­schaft, über seine Mit­glied­schaft in der Gruppe “Revo­lu­tio­nä­rer Kampf”, sei­ner Arbeit als Schwei­ßer bei der Firma Opel, 25 Jahre spä­ter als Stadt­käm­me­rer von Frank­furt, schließ­lich UN-Sonderbeauftragter im Kosovo, Gua­te­mala und Afgha­nis­tan. 2009 – 2013 war er Vor­sit­zen­der des Aus­schus­ses für Men­schen­rechte im Deut­schen Bun­des­tag. Tom Koe­nigs ist zwei­fel­los einer der pro­fun­des­ten Ken­ner der heu­ti­gen  The­ma­tik. Herr Becker bedankt sich für die inten­sive Vor­be­rei­tung des heu­ti­gen Abends bei den Leh­re­rIn­nen und 150 Schü­le­rIn­nen der Ricarda-Huch-Schule (Drei­eich),  der Heinrich-Emanuel-Merk-Schule (Darm­stadt), der Dreieich-Schule (Lan­gen), der Bertha-von-Suttner-Schule (Mörfelden-Walldorf) und der Muse­ums­lei­te­rin und Stif­tungs­vor­sit­zen­den Cor­ne­lia Rühlig.

Koenigs: "Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist ein unglaublich weitreichendes Dokument..."
Tom Koe­nigs: “Die All­ge­meine Erklä-rung der Menschen-rechte ist ein un-glaublich weitrei-chendes Dokument!”

Tom Koe­nigs beginnt sein Kurz­re­fe­rat mit dem Ver­weis auf den 10. Dezem­ber  1948: „Dies ist der Tag, an dem die All­ge­meine Erklä­rung der Men­schen­rechte von der Gene­ral­ver­samm­lung der Ver­ein­ten Natio­nen unter­zeich­net wurde -  ein unglaub­lich weit­rei­chen­des Datum —  ein unglaub­lich weit­rei­chen­des Doku­ment, das alle Staa­ten die­ser Erde unter­schrie­ben haben. Diese Erklä­rung ist uni­ver­sell und unteil­bar.“ Arti­kel 1 heißt: „Frei­heit, Gleich­heit, Soli­da­ri­tät.“   „Alle Men­schen sind frei und gleich an Würde und Rech­ten gebo­ren. Sie sind mit Ver­nunft und Gewis­sen begabt und sol­len ein­an­der im Geiste der Brü­der­lich­keit begegnen.“

Doch Rechte wer­den stets auch ver­letzt. In kon­kre­ten poli­ti­schen Kon­flik­ten habe ich mich immer wie­der gefragt: Auf wel­che Seite soll ich mich denn nun stel­len? — Für Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten gibt es dafür eine klare Regel: Im Zwei­fel immer auf die Seite der Opfer.

 

1. The­men­block: Die Geschichte der Menschenrechte

Constantin Hübner, 16 J., Schüler der Ricarda-Huch-Schule, Dreieich
Con­stan­tin Hüb­ner, 16 J., Schü­ler der Ricarda-Huch-Schule, Dreieich

Con­stan­tin erläu­tert kurz, dass im spä­ten 18. Jh. die Erklä­rung der Men­schen­rechte in den USA im Zuge der Los­lö­sung von der Kolo­ni­al­herr­schaft Eng­lands nie­der­ge­schrie­ben wurde, in Frank­reich nach der Abschaf­fung der abso­lu­tis­ti­schen Herr­schaft. Die UNO-Menschenrechtserklärung ent­stand 1948 vor dem Hin­ter­grund der Bar­ba­rei der NS-Zeit und des Holocaust.

Seine Frage: Mei­nen Sie, dass es auch ohne die Erfah­rung von Unter­drü­ckung und Ver­let­zung der Men­schen­würde zur For­mu­lie­rung der all­ge­mei­nen Erklä­rung der Men­schen­rechte gekom­men wäre? Ist die Ver­let­zung von Men­schen­würde eine Vor­aus­set­zung dafür, dass man sich die­ser bewusst wird?

Tom Koe­nigs: Ich glaube, kein ein­zi­ges Men­schen­recht ist ohne Kämpfe zustande gekom­men. Es geht immer nur voran durch Men­schen, die sich ein­set­zen, die sich enga­gie­ren, die etwas ris­kie­ren. Sie haben dies eben aus der geschicht­li­chen Ent­wick­lung völ­lig zutref­fend abge­lei­tet. Aber nicht nur das; auch nach der offi­zi­el­len Erklä­rung der Men­schen­rechte hat es immer wie­der Ver­let­zun­gen der­sel­ben gege­ben. Des­halb ist es so wich­tig, sich nicht auf sol­chen Erklä­run­gen aus­zu­ru­hen, son­dern sich immer wie­der für deren Durch­set­zung zu engagieren.

Con­stan­tin: Was aber kann Ihrer Mei­nung nach getan wer­den, um die Men­schen für die Ver­let­zung der Men­schen­rechte früh­zei­tig  zu sensibilisieren?

Tom Koe­nigs: Ich denke, die Men­schen müs­sen nicht sen­si­bi­li­siert wer­den. Ich sehe nur Lösun­gen gemein­sam mit (!) den Opfern von Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen. Zum Bei­spiel die Unter­drü­ckung der Schwar­zen in den USA oder auch die Roma hier in Europa…

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Henrik Weber, 17 J., Schüler der Ricarda-Huch-Schule, Dreieich
Hen­rik Weber, 17 J., Schü­ler der Ricarda-Huch-Schule, Dreieich

Hen­rik: Frank­reich war das erste euro­päi­sche Land, in dem die Men­schen– und Bür­ger­rechte ein­ge­führt wur­den. Aller­dings wur­den sie durch den Natio­nal­kon­vent schon kurz dar­auf wie­der außer Kraft gesetzt und damit auch die Gewal­ten­tei­lung. Robes­pierre ver­trat die Posi­tion, die Men­schen­rechte durch Tugend und Ter­ror „schüt­zen“ zu wol­len. Aber Hun­derte kamen dabei zu Tode. Was trieb Robes­pierre an, sich nun über die Men­schen­rechte zu stel­len und damit auch die Rechte der Ande­ren ein­zu­schrän­ken? Und wie beur­tei­len Sie, dass schließ­lich auch Robes­pierre selbst hin­ge­rich­tet wurde? Hätte man da den­noch die Men­schen­rechte beach­ten sollen?

Tom Koe­nigs: Zunächst zur Frage der Hin­rich­tung. Außer­ge­richt­li­che Hin­rich­tun­gen finde ich immer scheuß­lich. Das ist eine Ver­let­zung des Men­schen­rechts. Zum Bei­spiel: die Hin­rich­tung von Gad­dafi oder ame­ri­ka­ni­sche Bürgerrechtler…

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"Es ist kein Einzelfall, dass eine Befreiungsbewegung ihre eigenen hohen Ideale verlässt..."
Es ist kein Ein­zel­fall, dass eine Befrei­ungs­be­we­gung ihre eige­nen hohen Ideale verlässt…”

Nun zum ers­ten Teil Ihrer Frage, zum Macht­an­spruch von Robes­pierre. Es ist in der Geschichte über­haupt kein Ein­zel­fall, dass eine Bewe­gung, die für die Befrei­ung der Men­schen aus der Unter­drü­ckung antritt, die für Gleich­heit und Men­schen­rechte kämpft, in einer spä­te­ren Phase, wenn sie dann ver­sucht ein Land voran zu brin­gen, ihre eige­nen hohen Ideale ver­lässt und schließ­lich sogar zu einer Form des Ter­ro­ris­mus dege­ne­riert. Ein Bei­spiel hier­für ist der Sta­li­nis­mus oder noch schlim­mer das Pol Pot Regime in Kambodscha.

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Publikum1

 

 

 

2. The­men­block: Ist die all­ge­meine Erklä­rung der Men­schen­rechte wirk­lich uni­ver­sell oder doch eher kulturrelativ?

Kimberly Kretschmer, 16 J., Ricarda-Huch-Schule, Dreieich
Kim­berly Kret­sch­mer, 16 J., Ricarda-Huch-Schule, Dreieich

Kim­berly: Es fällt mir schwer, Ihrem Anspruch zu fol­gen, dass die All­ge­meine Erklä­rung der Men­schen­rechte wirk­lich uni­ver­sell sein soll. Gibt es nicht viele ara­bi­sche, afri­ka­ni­sche oder auch asia­ti­sche Län­der, in denen auch heute noch eine enge Bin­dung an eigene tra­di­tio­nelle Werte, Kul­tur­prak­ti­ken und Reli­gion besteht? Ele­mente davon ste­hen doch zumin­dest teil­weise im Wider­spruch zur Men­schen­rechts­er­klä­rung der UNO. Im asia­ti­schen Kul­tur­raum ist z.B. in vie­ler­lei Hin­sicht die Fami­lie wich­ti­ger als das Indi­vi­duum, in ara­bi­schen Gesell­schaf­ten ist oft­mals die Ehre wich­ti­ger als  das Recht des Ein­zel­nen. In afri­ka­ni­schen Län­dern ist die Kli­to­ris­be­schnei­dung ein wich­ti­ges fei­er­li­ches Stam­mes­ri­tual — unsere Gesell­schaft aber bezeich­net dies als Geni­tal­ver­stüm­me­lung… Dies führt mich dazu, die Men­schen­rechts­er­klä­rung eher im Rah­men eines kul­tu­rel­len Rela­ti­vis­mus zu ver­ste­hen. Zudem sind die Men­schen­rechte – his­to­risch betrach­tet – auch immer wie­der ver­än­dert wor­den. Das berühm­teste Bei­spiel dafür sind die Men­schen­rechte in den USA. Sie gal­ten anfangs nur für weiße Män­ner, aber eben nicht für Frauen oder Sklaven.

Meine Frage lau­tet daher: Wie bewer­ten Sie die his­to­ri­schen und kul­tu­rel­len Unter­schiede im Hin­blick auf den Anspruch der uni­ver­sel­len Gül­tig­keit der All­ge­mei­nen Erklä­rung der Menschenrechte?

Tom Koe­nigs: Das ist in der Tat eine Dis­kus­sion, die sehr viele Dimen­sio­nen umfasst. Zunächst möchte ich fest­stel­len, dass immer wie­der ver­sucht wird, die Gül­tig­keit und Bedeu­tung der Men­schen­rechts­er­klä­rung zu rela­ti­vie­ren – ins­be­son­dere gilt dies in Bezug auf die Reli­gion. Wie­derum die Men­schen­rechts­er­klä­rung ist an die­ser Stelle klar und ein­deu­tig: Sie for­dert Reli­gi­ons­frei­heit. Oder zu Ihrem Bei­spiel der Kli­to­ris­be­schnei­dung bei jun­gen Mäd­chen; da möchte ich noch ein wei­te­res hin­zu­set­zen: die männ­li­che Beschnei­dung. Auch das ist ein Ein­griff in den Kör­per. Das haben wir letz­tes Jahr im Deut­schen Bun­des­tag aus­führ­lich dis­ku­tiert — eben weil auch in die­sem Fall zwei Men­schen­rechte neben­ein­an­der ste­hen: Reli­gi­ons­frei­heit und damit auch die ent­spre­chen­den Rituale und gleich­zei­tig das Recht auf die Unver­letz­lich­keit des Körpers.

(wei­ter­le­sen…)

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Flagge der Vereinten Nationen
Die Flagge der Ver­ein­ten Nationen
Der Norweger Trygve Halvdan Lie war der erste offiziell ernannte Generalsekretär der Vereinten Nationen.
Der Nor­we­ger Trygve Halv­dan Lie war der erste offi­zi­ell ernannte Gene­ral­se­kre­tär der Ver­ein­ten Natio­nen (1946 — 1952).
Tom Koenigs leitet eine Ausschusssitzung des Deutschen Bundestages für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, 2013
Tom Koe­nigs lei­tet eine Aus­schuss­sit­zung des Deut­schen Bun­des­ta­ges für Men­schen­rechte und huma­ni­täre Hilfe, 2013
Aus der Präambel: "Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet...verkündet die Generalversammlung (am 10. Dez. 1948) diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte."
Frie­den in der Welt bildet…verkündet die Die Grün­dung der UNO (1945) und die inter­na­tio­nale Erklä­rung der Men­schen­rechte (1948) 
waren eine Kon­se­quenz der Bar­ba­rei des NS-Staates und sei­ner Mil­lio­nen Opfer.
Der Sturm auf die Bastille,  14. Juli 1789. Jean-Piere Houel, Original: Bibliothèque Nationale de France, Paris
Der Sturm auf die Bas­tille, 14. Juli 1789.
Jean-Piere Houel, Ori­gi­nal: Biblio­t­hèque Natio­nale de France, Paris
Erklärung der  Menschen- und Bürgerrechte - verkündet am 26. Aug. 1789 von der französischen Nationalversammlung. Gezeichnet von Le Barbier. Original: Musée Carnavalet, Paris
Erklä­rung der Men­schen– und Bür­ger­rechte — ver­kün­det am 26. Aug. 1789 von der fran­zö­si­schen Natio­nal­ver­samm­lung. Gezeich­net von Le Bar­bier. Ori­gi­nal: Musée Car­na­va­let, Paris
Maximilien de Robespierre (1758 - 1794), Rechtsanwalt und Politiker. Als führendes Mitglied der Jakobiner war er mitverantwortlich für den "Terreur" 1793/94.
Maxi­mi­lien de Robes­pierre (1758 — 1794), Rechts­an­walt und Poli­ti­ker. Als füh­ren­des Mit­glied der Jako­bi­ner war er mit­ver­ant­wort­lich für den “Ter­reur” 1793/94.
Hinrichtung von Robespierre am 28. Juli 1794
Hin­rich­tung von Robes­pierre am 28. Juli 1794

 

 

 

 

Universale Menschenrechte versus: Menschenrechte im Islam?
Uni­ver­sale Men­schen­rechte ver­sus: Men­schen­rechte im Islam?
Die arabische Welt - Le Monde.
Kim­ber­ley: “In ara­bi­schen Gesell­schaf­ten ist oft­mals die Ehre wich­ti­ger als das Recht des Einzelnen …”
Chinesische Familie in festlicher Kleidung für das Neujahrsfest.
Kim­ber­ley: “Im asia­ti­schen Kul­tur­raum ist  z.B. die Fami­lie tra­di­tio­nell wich­ti­ger als das Indi­vi­duum…” Eine chi­ne­si­sche Fami­lie in fest­li­cher Klei­dung für das Neujahrsfest.